Ein universeller Humanismus und das sich daraus ergebende Leitideal einer gerechten und menschwürdigen demokratischen Gesellschaft sind mit einer kapitalistischen Wirtschaftsform nicht verträglich. Demokratie in einem ernsthaften Sinne und Kapitalismus schließen sich aus.
Parteien im linken Teil des politischen Spektrums erfüllen jedoch für die herrschenden Eliten eine wichtige Stabilisierungsfunktion. Nur sie können die Verlierer der herrschenden Wirtschaftsordnung, deren Interessen sie ja zu vertreten vorgeben, in einen politischen Konsens einbinden, wodurch der Status der herrschenden Eliten stabilisiert wird. Dafür werden ihre Vertreter dann mit geeigneten Privilegien und mit einem Platz an den Katzentischen im Palais der Machteliten belohnt. Damit die Parteien diese Pazifizierungsfunktion für die Klasse, deren Interessen zu vertreten sie vorgibt, erfüllen können, muß natürlich sichergestellt werden, dass in ihnen nicht Kräfte Einfluß gewinnen, die sich tatsächlich für die Interessen der Bevölkerung einsetzen – also für eine gerechtere und wirklich demokratische Gesellschaft.
Für die Neutralisierung der Vertreter ernsthaft linker Positionen sind Ausgrenzungskriterien wichtig, die für die Öffentlichkeit zumindest vordergründig eine gewisse Plausibilität haben. In der Sache ist der Spielraum für solche Ausgrenzungskriterien sehr beschränkt und reicht kaum darüber hinaus, die genannten Leitideale als utopisch, unrealistisch oder weltfremd zu diffamieren. Eine solche Diffamierung ist bereits eine recht wirksame Methode, den öffentlichen Denkbereich auf „vernünftige“, also systemstabilisierende Ziele zu begrenzen. Sehr viel wirksamer läßt sich jedoch eine Ausgrenzung und Ächtung radikalerer Positionen aus diesem Spektrum dadurch erreichen, dass man auf die persönliche Ebene wechselt und Vertreter solcher Positionen, die Spielraum für solche Angriffe bieten könnten, durch Diffamierungen, Anspielungen, üble Nachrede, Gerüchte, Verleumdungen oder Rufmord zu diskreditieren sucht.
Es ist daher besonders erhellend zu untersuchen, von wem diese Attacken ausgehen und gegen wen sie sich richten. Die Systematik hierbei scheint recht offenkundig zu sein: Die „Querfront“- und „Rechtsoffen“-Vorwürfe gehen fast stets von Vertretern der reformistischen „system-offenen“ Linken aus und richten sich überwiegend gegen Personen, die in ernsthafter Weise gegenwärtige Machtverhältnisse hinterfragen und sich für eine gerechtere und wirklich demokratische Gesellschaft einsetzen. Denn diese Personen gefährden nicht nur die Erfüllung der systemstabilisierenden Funktion der reformistisch-symbiotischen Linken, sondern erinnern diese auf psychologischer Ebene auch immer wieder an deren Verrat ihrer eigenen Leitideale. Das erklärt vielleicht die Verbindung von Aggressivität, intellektueller Dürftigkeit und Verworrenheit und moralischer Heuchelei, die ein charakteristisches Merkmal solcher Kampagnen ist.
Aus:
Titel: Die Links-Rechts-Demagogie. Ein Interview mit Rainer Mausfeld.
Datum: 5. August 2016
https://www.uni-kiel.de/psychologie/mausfeld/pubs/Mausfeld_Die%20Links-Rechts-Demagogie_NachDenkSeiten.pdf