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189 Beiträge seit 27.08.2006

Magie der Bilder Teil 3

Eine weitere These in bezug auf den 11. September war ja, dass die
kulturindustriellen Bilder des

Katastrophenfilms das Ereignis antizipiert haben. Die Filme, die
diese Zerstörung Manhattans zeigen, dass es

eben keine Antizipation ist. Es gibt ganz bestimmte Spezifika was
zerstört wird, warum es zerstört wird, wobei

ein ganz konservativer Hollywood-Text auf einer niederen Ebene
durchläuft. Die These lautet, die Terroristen

haben sich in diese Kultur so eingelebt, haben diese Filmbilder
aufgesaugt und wollten auch genau diese Bilder

wieder erzeugen.

Es gibt keinen ursächlichen kausalen Zusammenhang, zwischen den
Bildern der Massenmedien und der Romane und dem,

was die gemacht haben. Es gibt eine philosophische Antwort, die man
ableiten kann von den berühmten Thesen von

Günther Anders aus der Antiquiertheit des Menschen, nämlich, dass
heute jedes Ereignis ein Bild sein muss, bevor

es als etwas Eigenes wahrgenommen werden kann. Die gesamte
muslimische Revolution arbeitet mit den Methoden des

Westens. Die Art und Weise, wie die muslimische fundamentalistische
Revolution durchgeführt wird - in der

Öffentlichkeitsarbeit mit Bildern - ist abgeleitet von - und das ist
präzise nachweisbar - von der Pop Art, den

westlichen Reklamen, usw.. Diese fundamentalistischen Revolutionen
übernehmen die ganzen Bildkampagnen des

Westens.

Wenn man die Bilder der islamistischen Gruppen mit denen der
amerikanischen vergleicht sind diese vom

Stilistischen, vom Gestalterischen absolut gleich.

Westlich und modern. Es gibt leider hier keine fundamentalistische
Bildtheorie, die uns andere Bilder liefern

würde, sondern es ist eine reine Anlehnung. Die westliche Bildtheorie
wird zu Hilfe genommen, mit der man dann

fundamentalistische Inhalte propagiert. Das ist reine westliche
Propaganda, üblerweise, mit der man dann

fundamentalistische Inhalte verbreitet. Die haben trainiert und von
unserem System gelernt: Ein Ereignis wird

nur als ein solches wahrgenommen, wenn es ein Bild reproduziert. Das
haben die gemacht. Sie haben gewusst, wir

machen es am helllichten Tag, nicht mitten in der Nacht, denn nur
dann kann es zum Bild werden, dann sind die

Kameras darauf gerichtet. Sie haben das effektiv für die
Bildindustrie produziert, weil sie das Gesetz eben

erkannt haben. Das ist die Gesellschaft des Spektakels, Guy Debord,
nur dann ist die Sache politisch, wenn es

ein reines Spektakel ist. Das haben die eindeutig kapiert, sonst
hätten sie es nicht so gut gemacht. Das ist

dann ein Zusammenhang zwischen der Struktur des Westens, der Funktion
der Bilder und der Art und Weise, wie die

Politik gemacht wird.

Das wird ja auch immer mehr im Internet gezeigt, wie diese Bildwelten
miteinander verknüpft werden.

Der nächste interessantere Aspekt ist, dass man sagen könnte, Amerika
durchläuft im 20. Jahrhundert

ununterbrochen extreme soziale, dramatische Wechsel. Es ist ein
sozial gewalttätiges Land, das ununterbrochen

Angst erzeugt - im eigenen Land. Man kann das erkennen an den
sogenannten "fear studies", Angststudien. Man

sieht das auch an seiner Filmindustrie. Es gibt in Europa,
einschließlich Russland, nicht diese Horrorfilme. Nur

in Ländern wie den USA, wo eine soziale Instabilität herrscht und
auch eine enorme Rechtsinstabilität. Das

Gesundheitssystem dort ist unsicher. Man kann die Justiz und sogar
nationale Wahlen kaufen, wie wir das bei Bush

gesehen haben. Eine solche Instabilität wie in Amerika in den
Bereichen Recht, Ökonomie, Gesundheit und

Versicherungen sorgt dafür, dass dieses Land von Angst geschüttelt
ist. Diese Angst wird von der Industrie

ausgebeutet, deswegen Katastrophenfilme, apokalyptische Filme bis hin
zu Horrorfilmen. Amerika ängstigt sich

seit der Jahrhundertwende; da gibt es den berühmten Roman von H.G.
Wells: The world in flames. Auch hier geht

New York schon zugrunde, es wird beschrieben, wie Bürohäuser
einstürzen. Also wird Amerika bereits 100 Jahre

lang begleitet von einstürzenden Wolkenkratzern. Insofern sind diese
Filme ein Spiegel der amerikanischen

Gesellschaft seit rund 100 Jahren. Die Amerikaner hatten zu recht
Angst. Das heißt, jetzt ist genau das

eingetreten, vor dem sie sich immer gefürchtet hatten.

Man könnte sagen, angelehnt an Woody Allen, Was Sie schon immer über
Amerika wissen wollten, aber sich nicht zu

fragen getraut haben. Das haben sie jetzt als Antwort bekommen: den
11. September. Das war eine Auskunft über

den Zustand der amerikanischen Gesellschaft, und deshalb die
Projektion: nein, das sind nicht wir, das sind die

anderen.

Die Bilder der Attacke wurden in den Darstellungskonventionen des
Film magisch aufbereitet.

Die Filme, das soziale Unbewusste, führen dazu, dass man diese Bilder
zwanghaft gezeigt hat, das steht dafür,

dass ich auch aus der Angst Profit machen kann, indem ich Bilder
zeige, die die Schaulust befriedigen. Diese

Schaulust ist so extrem, dass ich behaupte, dass die Leute fasziniert
im Fernsehen beim Untergang der Welt

zuschauen und das Spektakel genießen würden. Das ist der jetzige
Zustand der Gesellschaft. Ich wette, die

meisten Amerikaner haben das auf perverse Weise in der Wiederholung
genossen, gleichzeitig sind sie erschrocken

vor dem Horror, diesem Einsturz der beiden Türme. Und deswegen könnte
man nachweisen, das Fernsehen würde das

nicht zwangsweise tagelang wiederholen, wenn sie nicht wüssten, die
Zuschauer würden das auch tagelang

mitmachen. Insofern kann man diesen Leuten, diesen Millionen von
Menschen durchaus den Vorwurf machen, dass sie

dort gesessen haben im eigenen Land und dass sie als Ferngesellschaft
diese Bilder genossen haben. Das sind

bildmagische Zirkel. Also, man sieht durch die Herrschaft des
visuellen Mediums und die Herrschaft der Schaulust

die magischen Aspekte an der Politik selber.

Sachsses These im Artikel der Telepolis zu Iconoclash war: Kriege um
Bilder sind reale Kriege, Menschen sterben

für Bilder. Und dagegen gesetzt: wenn ich Bild jetzt mal als
künstlerisches Bild definiere, Kittlers These:

Kunst tötet nicht.

Das ist auch eine spannende Frage, Mitchell stellt in seiner
Bildtheorie die Frage: Was wollen Bilder. Früher

hieß es ja: was wollen wir von Bildern. Die Bilder haben für uns eine
Funktion. Aber seit kurzem taucht immer

wieder die Frage auf: Was wollen Bilder? Das hat, glaube ich, etwas
mit einem Thema zu tun, was Sie schon

mehrfach behandelt haben, nämlich mit dem Thema Biokybernetik, wo die
Grenze zwischen Natur und Kultur nicht

mehr so ganz klar ist. Auch die Artefakte, die Bilder haben Wünsche,
auch sie wollen etwas. Wenn hier die

unbelebte Materie oder das tote Bild etwas will, ist das fast die
Wiederkehr des Animismus. Was wollen sie von

uns? Das, was die Menschen auch wollten, nur umgedreht: Sie wollen
Opfer. Früher waren die Bilder Elemente in

magischen Ritualen, wo es um Opfer gegangen ist, also sakrale Dinge.
Plötzlich sagt man: die Funktion haben die

Bilder auch noch, aber sie wollen jetzt uns als Opfer haben. Dadurch
kommt die Möglichkeit auf, zu sagen: Bilder

töten, weil die Bilder plötzlich etwas wollen. Diese Stufe haben die
Bilder auch in dem ganzen Komplex Twin

Towers gezeigt.

Unglücklicherweise vertritt Kittler eine klassische Position, die ein
bisschen im Verschwinden ist. Sie erinnert

an eine Bilddefinition vor der Kunst, wo das Bild die Funktion hatte,
den Herrscher zu verewigen. Das Bild war

ein Spezialeffekt des griechischen Todeskults, wie kann ich den
Herrscher verewigen und am Leben halten. Die

Mumie ist die eine Quelle des Bildkultes. Und daraus kann man dann
ableiten: die Kunst tötet nicht, sondern

kämpft gegen den Tod und gibt eine gewisse Unsterblichkeit. Das
trifft zusammen mit der politischen

Repräsentationsfunktion des Bildes. Das Bild hat von Anfang an die
Funktion gehabt, nicht nur Stellvertreter des

Lebens, sondern auch das Leben selbst zu sein.

Wenn das Bild dann anfängt, Leben selbst zu sein, wie im Film
Videodrom, wo der Fernsehapparat ein lebender

Organismus ist - ich selbst nenne das immer: das viable Bild, das ein
lebensähnliches Verhalten hat -, hat das

Bild nicht nur die Funktion, dem Tod Einhalt zu gebieten, sondern in
dem Augenblick, wo das Bild selbst

biokybernetisch lebendig wird, erzeugt es Leben und ist Garant für
Leben. Insofern kann man sagen: Jedes lebende

Wesen lebt ja vom Leben anderer, da kommt dann diese Logik des
Kannibalismus herein, dass die Bilder anfangen,

auch zu fressen.

W.J.T Mitchell spricht vom biokybernetischen Zeitalter und hat bei
dem Vortrag im Rahmen von Iconoclash seine

Lieblingsikone gezeigt, einen Dinosaurier, dessen genetischer Code
visuell auf dem Saurier reproduziert wird,

ein Bild von 2 Sekunden aus dem Spielberg Film. Die Dinosaurier
springen durch diese Labors, und dann gibt es

den Moment, wo sie in den Computerraum eindringen. In dem Augenblick,
wo sie durchspringen, gibt es eine

Projektion. Man sieht plötzlich den DNA-Code, der sie erzeugt hatte,
auf die Haut projiziert. Das ist ein

wunderbares Bild; d.h., da erscheint der Code, der innen verborgen
ist, als Haut und als Muster. Das ist quasi

Open Source, der Quellcode wird offengelegt, der Code mit dem dieses
Wesen ins Leben gerufen wurde, trägt dieses

für eine Sekunde projiziert auf der Haut. Und das ist ein wichtiges
Bild, das sagt, dass Bilder gleichsam

lebende Wesen werden, dass man Bilder aus der toten in lebende
Materie verwandeln kann, und dass dann diese

Bilder die Dinosaurier fressen. Das hat Mitchell ironisch gesagt,
aber das geht ganz stark und

erstaunlicherweise aus der biokybernetischen Definition und Funktion
des Bildes hervor.
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