Ich nehme Literaturtips immer gerne entgegen, aber sehe sonst nur meine Vermutung bestätigt, dass sich glühende Marxisten nur in die Nähe von Ökonomie trauen, insofern sie bei Marx nachzulesen ist. Deswegen kommt die von Ihnen genannte Literatur auch überwiegend aus den schönen Künsten. Oscar Wilde hat aber bei der ernsthaften Thematisierung von politischer Ökonomie schlicht nichts zu suchen. Zu einigen Punkten aus Ihrem Traktat (alle kann ich nicht wirklich abarbeiten)
Marx hat eine evolutorische Gesellschaftstheorie geschaffen
FALSCH: Marx hat mit HistoMat eine dialektische GT geschaffen, als einen SCHLECHTEN Abklatsch der Hegelianischen dialektischen GT. Wo Hegel aber noch konsequenter Weise den dialektischen Prozess aus These, Antithese, Synthese in einem allem zu Grunde liegendem Weltgeist verordnet, der mit sich selbst in Zwiesprache steht, projeziert Marx die Dialektik in den geschichtlichen Prozess zwischen Klassenkämpfen um Produktivkräfte. Ein Prozess, der mit sich in Zwiesprache steht und nicht einfach so abläuft? Klingt dämlich, ist es auch:
Marx hat [...] festgestellt, dass die bisherige (geschriebene) Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen war.
FALSCH: die empirische Betrachtung aus den Geschichtswissenschaften bietet schlicht keine Anhaltspunkte für dialektisch ablaufende Klassenkämpfe. Marx hat schlicht die zu seinen Jugendjahren ablaufenden Kämpfe zwischen Absolutismus und Liberalismus im Nachgang der Französischen Revolution überinterpretiert. Die bürgerliche Klasse HAT die feudale Klasse abgelöst in Europa, aber dies war ein historisch einmaliger Vorgang und ohne Vorläufer. Die bürgerliche Klasse bestand in Europa seit dem Hochmittelalter und vorher gab es nur das Dunkel der Völkerwanderung, ohne ökonomische Kontinuität. Und die Französische Revolution war eine Revolution der Starken: die Bourgeoisie hatte alle Strukturen, Organisationen und Praxen der Ökonomie in ihren Händen. Sie brauchte nur noch das veraltete politische und legislative System beiseite wischen. Und hier liegt der Kontrast zu den Arbeiter"revolutionen" der Kommune, von 1918 in Deutschland, von 1937 in Spanien und vielen anderen. Die Arbeiter waren nicht die Starken, sie verfügten nicht über die Schalthebel der Wirtschaft und sie verfügten nicht über eine zukünftige Ordnung. Und ohne Zukunft zu spüren verzagen die Leute nun einmal.
diese ist noch bedeutender und wirkungsmächtiger als die Darwinsche Evolutionstheorie
FALSCH: In der Tat hat Marx in späten Jahren die Schriften Darwins rezipiert und sie als Bestärkung seiner materialistischen Dialektik ausgegeben. In Wahrheit sind sie deren endgültige Widerlegung. Sie bedeuten nämlich eine Absage an den deutschen Idealismus und damit an die Enthebung der Dialektik in die Materialität, die Marx vorgenommen hat. Dialektik als Zwiesprache des Geistes ist ein Produkt menschlicher Gehirnleistungen. Und wenn diese ein Produkt eines biologischen Prozesses sind, können sie schlicht nicht in Materialität vorhanden sein. Und evolutionäre Prozesse haben mit dialektischen nichts zu tun. Es schwimmen noch Urzeittierchen durch unsere Ozeane, die sich seit Jahrmilliarden nicht verändert haben und nicht "aufgehoben" oder "widerlegt" wurden, schlicht weil ihre pfadabhängige Entwicklung sie in eine stabile ökologische Nische geführt hat.
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[Marx] hat auf die historischen Schranken dieses Gesellschaftssystems verwiesen. Nach Marx ist der Kapitalismus die letzte Klassengesellschaft.
RICHTIG: Marx hat in seinem reiferen, analytischem Spätwerk die inhärente Instabilität und Ungleichgewichtigkeit kapitalistischer Wachstumsprozesse erkannt, die auf einen Zustand der Überakkumulation und Wachstumskrise führen. Diese lösten sich jedoch bei ihrem letzten Auftreten im Zuge der Wirtschaftskrise 1928/29 nicht dialektisch in der nächsthöheren Gesellschaftsform auf, sondern in der Massenvernichtung sowohl an Kapital als auch an Menschen, die letztlich wieder in eine neue stabile Phase der Weltwirtschaft mündeten. Und in so einer Phase der Überakkumulation befinden wir uns derzeit wieder. Wenn sich das überakkumulierte Kapital erneut selbst vernichtet, wird die gegenwärtige Klassengesellschaft jedoch leider wohl nicht einer Diktatur des Proletatriats weichen, sondern einer Stammesgesellschaft oder was die Überlebenden dann noch so hinbekommen.
Marx hat auch keine Theorie der sozialistischen Gesellschaft ausgearbeitet
RICHTIG. Deswegen sollte man ihm seinen geistesgeschichtlichen Platz zugestehen und seine ökonomischen Analysen wertschätzen und ihn sonst ins Antiquariat verbannen. Was wir jetzt nämlich brauchen ist kein metaphysisches Geschwurbel, sondern gerade eine Theorie und Praxis einer sozialistischen Gesellschaft, die die kommende Vernichtung abwendet oder zumindest zum Neuanfang übersteht.
ernstgeorg sollte aus seiner schöngeistigen Matratzenburg herauskommen und sich ein bißchen mit unangenehmer Lektüre beschäftigen: BWL, Wirtschaftsgeschichte, Realpolitik, Jura etc. Man kann verstehen dass man ein gewisses geistiges Stockholm-Syndrom entwickelt, nachdem man sich durch 1000 sperrig und gestelzt formulierte Seiten hindurchgemüht hat, als ob es die Bibel wäre, aber die Welt wartet nicht und es gibt auch noch viel zu entdecken.