...wie z.B., was Marlon Grohn und Harald Neuber unter "Anarchie" und "Moral" verstehen:
Ist der Troll der Anarchist des digitalen Zeitalters, der Rebell gegen Moral und soziale Norm?
Marlon Grohn: Naja, Anarchist... ich weiß nicht. So schlimm sind die Trolle auch wieder nicht. Und Trolle sind oft hochmoralisch. Nur haben sie eben andere Moralvorstellungen. Z.B. die, sich gegen Doppelmoral zu wenden. Wobei das natürlich wieder sehr idealistisch ist, denn wie jeder weiß, ist alle Moral Doppelmoral.
So langsam sollte es doch in den Köpfen angekommen sein, dass Anarchismus die Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaftsordnung ist. Wenn einer gegen Moral und gesellschaftliche Norm schlechthin ist, ist er Anomist, nicht Anarchist.
"Du darfst nicht vergewaltigen!"
Da bin ich moralisch durch und durch. Hätte meine Mutter mir sagen sollen: "Vergewaltigung ist sicher etwas schlechtes, aber manchmal geht es nicht anders."?
Warum soll es eine Doppelmoral sein, dass man( n) nicht vergewaltigen darf? Soll das heißen, dass Menschen, die das einfordern, selbst Vergewaltiger:innen sind oder diese an anderer Stelle gutheißen? Was wäre wohl los, wenn eine Studentin in einer von Harald Welsers Vorlesungen, wenn er mal wieder eine antimoralische Moralpredigt hält, nach vorne geht, etwas mit "Rape Culture" brüllt und ihm eine in die Fresse haut - und wenn er sich daraufhin beschwert, sagt sie einfach: "Ach, seien Sie doch nicht so moralisch!"?
An dieser Stelle erweisen sich Marxisten oft als Söhne ihrer ideologischen Väter. Sie ignorieren, dass das erste gesellschaftliche Verhältnis, das zwischen Menschen und ihre Arbeit tritt - das erste Kapital nach Marx' eigener Definition - das Patriarchat ist. Zwischen Frauen und ihre Arbeit tritt die Frauenrolle, die sie auf die Reproduktionsarbeit festlegt, die keine Tauschwerte produziert.
Marlon Grohn hat den Antifeminismus in seiner Aufzählung rechter Ideologie-Versatzstücke ausgelassen. Dabei hat er eine Türöffnerfunktion für rechte Diskurse, das zeigt sich bei Incels und wurde mir sogar ausdrücklich von Antifeministen hier im Forum bestätigt. Der erste Klassenkampf von oben findet mit Verweis auf das vermeintlich unpolitische Private statt, in das sich eine politische Einmischung verbeten wird.
Kapitalismen als warenproduzierende Patriarchate zu analysieren, ist ein notwendiger Schritt hinsichtlich der Aufhebung des Widerspruchs zwischen "Haupt- und Nebenwiderspruch". Die aristotelische Naturrechtsphilosophie ist Grundlage/Grundlegung jeder christlichen frauen- und schwulenfeindlichen Dogmatik genauso wie sie Grundlage/Grundlegung der liberalistischen Eigentumsdogmatik ist. Bei Aristoteles sind Patriarchat und Geld noch ganz eng verknüpft. Wenn er Geld als omnikommensurables Tauschmittel bezeichnet (mit dem mann sich alles kaufen kann, auch Frauen), dann ist das Kapital (im marxistischen Sinne) noch kaum gegenüber dem Patriarchat verschoben.
Mit der Aufschiebung (der Tabuisierung) der Lüste im Christentum setzte sich eine Verschiebung zwischen Patriarchat und Kapital ingange, die im der Ächtung und dem Verbot der Prostitution anfängt und die bei der Aufhebung des Verbotes im Linksliberalismus, insbesondere dem Linksneoliberalismus ihre Steigerung erfahren hat. Ohne das Patriarchat abschaffen zu können, werden patriarchale Strukturen kapitalistisch überformt. Dann üben auch Frauen die Männerrolle aus, manchmal sogar so gut, dass eine Geschäftsführerin wegen sexueller Übergriffe an Mitarbeiterinnen einen #meToo-Skandal auslöst.
Wenn es selbstverständlich wäre, dass Sex auf beidseitigem Verlangen beruht, dann würde ich mich auf eine Diskussion über den Sinn von Moral einlassen, bis dahin wird es so bleiben, dass sich der Klassenkampf bis in die Betten fortsetzt.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (20.04.2021 21:40).