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mehr als 1000 Beiträge seit 31.08.2000

Duale Infantilität - eine wahre Begebenheit

Neulich im ICE.

Von Hamburg bis Würzburg hörte man nur den Zug und gelegentlich den
Schaffner und gewöhnliche Gespräche. Mein Gegenüber fand Schlaf und
ich fand Muße zu lesen. Das einzige, dem ich mich gleichzeitig hingab
und dem ich mich zuweilen erwehren musste, war das stroboskopische
Licht, dass durch vorbeirasende Bäume gestreut wird. Der Tag glühte
und es war gut.
Ab Würzburg dann Papa, Mama und 3 kleine Kinder, dazu diverse
Teenager mit mp3-Player oder Diskman in Kampfbeschallung. Eigentlich
machte von den Kindern nur das kleinste eigenen Lärm, dafür aber umso
mehr der Vater, der gemeinsam mit seinem Sohn die nun mittlerweile
typische Spielhallenatmosphäre, in öffentlichen Verkehrsmitteln, um
sich herum aufbaute. Nachdem ihnen das elektonische Gequiecke aus dem
Smartphone langweilig wurde ( nach etwa einer halben Stunde ), ließ
Papa nicht locker und seine gelangweilten Kinder mussten mit ihm eine
Variante von Stadt-Land-Fluss spielen, in der es vor Anspielungen auf
die Fussi-WM nur so wimmelte. Ich griff nervös und aus Notwehr zu
meinem eigenen Diskman, den ich für solche Fälle immer bereit halte
(Schall gebiert Überschall). Geholfen hat es nichts. Die Umgebung war
stärker. Dann machte ich eine sarkastische Bemerkung zu meiner etwa
gleichaltrigen Sitznachbarin, die ebenfalls in Würzburg zugestiegen
war und sagte sinngemäß: "ich stelle gerade eine Reihe weiterer
Gründe gegen Familien fest". Das war ein Fehler. Sie gab zurück, dass
sie es "total traurig findet, wenn ein junger Mensch so etwas sagt" -
nun ja, man ist so alt, wie man sich fühlt. Eine alte Dame, die mir
nun gegenüber saß, nachdem der schläfrige Typ entschwunden war,
reagierte ganz entsetzt und drohte mir mit meinen Rentenerwartungen.
Wie von Sinnen antwortete ich als guter Neoliberaler und Heuschrecke,
dass ich mein Kapital längst im Ausland arbeiten lasse. Daraufhin
verließ meine Nachbarin erst einmal ihren Sitz um sich telefonisch zu
entlehren. Später stöpselte dann auch sie sich die Kopfhörer in den
ICE-Sitz und hoffte auf süßes Versinken, dass sich nicht für lange
einstellen wollte. Sie lief umher, auf der Suche nach eine Steckdose
für das Ladegerät ihres Handy. Das Leben kann schwer sein.

In München rein ins Taxi und als Verantwortungsflüchtling und
gestandener Infantiler, ab durchs Gewitter. Das Gewitter war wieder
schön.

Tloen


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