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mehr als 1000 Beiträge seit 19.09.2002

Alles oder nichts?

sorrento schrieb am 22. Juni 2003 12:19

> Leo_Plegger schrieb am 21. Juni 2003 22:55
>
> > Wenn es aber vor allem westliche Staaten sind, die Völkerrecht
> > setzen, warum diese Möglichkeit nicht offensiv nutzen, um überhaupt
> > Bewegung und Veränderung in eine seit vielen Jahren sich
> > verschlimmernde Situation zu bringen? Was spricht dagegen, Regimes
> > wie dem Saddams in solchen Situationen ein Ende zu machen? Ihn
> > einfach weg zu wischen, das war eine gute Sache.
> >
>
> Das Saddam weg ist, macht wohl keinen wirklich traurig (etwas was Sie
> in den letzten Monaten in Ihren Postings nicht wirklich  verstanden
> zu haben scheinen)

Na gut, angesichts der von mir oft als unterirdisch empfundenen
Meinungsäusserungen in diesem Forum und meiner Machtlosigkeit
demgegenüber leiste ich es mir, gelegentlich so zu schreiben, dass
dieser Eindruck entstehen kann. Aber ich habe es verstanden. Bevor
ich mich weiter auslasse, hier ein Link zu einem Essay, in dem vieles
steht, was ich sofort unterschreiben würde:

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,254065,00.html

> - aber DAS war eben nicht das Ziel der Aktion "Irakische Plünderung"

Operation Iraqi Freedom war der Name, glaube ich.

> sondern eher eine Art von Kollateralschaden, den die VSA billigend in Kauf
> genommen hatten, um die öffentliche Meinung zu gewinnen.

Haben sie nicht die Sache mit den MVW in den Vordergrund gestellt, um
die öffentliche Meinung zu gewinnen? "Regime change" wurde zwar auch
angeführt, stand im angloamerikanische Argumentationsmix aber nicht
ganz oben. Ich kann mir nicht denken, dass die Behauptung, die USA
betrachteten die Abservierung Saddams als irgendwie gearteten
Schaden, etwas anderes als ein Scherz ist.

> Wie war das noch gleich in den 80ern, als Saddam
> wirklich Giftgas eingesetzt hatte, da begnügte man sich mit einer
> formalen Protestnote.

Stimmt, die USA, Deutschland, Frankreich etc. - keiner griff ein, die
Diktaturen rundherum durften ja nicht destabilisiert werden, und
Diktatoren konnten sich bequem hinter dem heiligen Völkerrecht
verschanzen. So lief es ja auch nach dem Kuwait-Krieg.

> Und über die zehntausende Opfer, die sein Regime im inneren gefordert hatte,  > hatte man bis vor kurzem auch kein Wort verloren

Manche machen das noch heute nicht. Über die amerikanischen Bomben,
denen Iraker (und Afghanen) zum Opfer fielen, finden sie viele
bitterböse Worte, bezüglich der Opfer Saddams (und der Taliban)
kommen sie über Lippenbekenntnisse nicht hinaus.

> - obwohl die Amerikaner als Gläubigernation und größter Waffenlieferant

Grösster Waffenlieferant? Nach welchem Maßstab? Mein Eindruck ist,
dass die irakische Armee und Luftwaffe, so lange sie existierten,
sich im wesentlichen russischen Materials bedienten.

> Saddam noch am ehesten eine zumindest genäßigetere Gangart der Bevölkerung
> hätten abverlangen können.

Ist das dein ernst? Hätten sie diese Macht gehabt, dann wäre Saddam
wirklich die US-Marionette gewesen, als der er von interessierten
Kreisen so gerne dargestellt wird. War er aber nicht, und daher waren
die amerikanischen Einflußmöglichkeiten nicht grösser als zum
Beispiel die der Franzosen (btw.: wer hat den Irakern den zur
Herstellung von bombenfähigem Material tauglichen Kernreaktor Osirak
eigentlich hingestellt?).

> Nimmt man noch die Sanktionen in den 90ern dazu, sind die VSA wohl für mehr
> Opfer der irakischen Zivilbevölkerung schuldig zuz sprechen als
> Saddam selbst.

Die Sanktionen kamen nach dem Kuwait-Krieg zustande und sind
Völkerrecht. Ein Fehler waren sie dennoch (ach ja, das Völkerrecht).
Aber stell dir vor, die USA hätten sich Chirac und Schröder
unterworfen, und statt Krieg wären die Inspektionen weiter gegangen.
Gefunden hätte man offensichtlich nicht so viel, und wer würde
demzufolge heute und bis in die unabsehbare Zukunft hinein den Irak
regieren, nun auch noch ein arabischer Held im Kampf gegen die beiden
Satans?

Fänden wir das gut und schön und richtig? Nicht alle wirklich, ich
höre es schon, aber wenigstens völkerrechtlich voll ok.

> Wenn es den VSA wirklich NUR um die Durchsetzung von Demokratie und
> Freiheit auf unserem Globus gegangen wäre, hätte ich da einen Liste
> von mindestens 40 Staaten, die es sich nach deiner Logik ebenfalls
> lohnen würde, gleich mal anzugreifen, z.B.

Keinesfalls. Ich behaupte doch nicht, dass es den USA *nur* um die
von dir genannten Ziele geht, ich würde noch nicht einmal davon
ausgehen, dass sie die Hauptrolle spielen (die spielt, und so sollte
es nach meiner Ansicht auch sein, das Eigeninteresse).

> 1. Kim Jong-il (North Korea)
> 2. King Fahd and Prince Abdullah (Saudi Arabia)
> 3. Charles Taylor (Liberia)
> 4. Than Shwe (former Burma, now Myanmar)
> 5. Teodoro Obiang Nguema (Equatorial Guinea)
> 6. Saparmurat Niyazov (Turkmenistan)
> 7. Muammar Gaddafi (Libya)
> 8. Fidel Castro (Cuba)
> 9. Alexander Lukashenko (Belarus)

Cuba, Libyen und Weißrußland haben nach meiner Ansicht auf dieser
Liste aus unterschiedlichen Gründen keinen Platz. Aber gut, die
Amerikaner sollen es also richten.

Merkwürdig, ich denke, allgmeine Ansicht der Friedensachse ist es,
dass all diese Leute in korrekter Übereinstimmung mit dem Völkerrecht
in ihren Ländern tun und lassen können, was immer ihnen beliebt;
jedenfalls dürfen sie auf keinen Fall von aussen gehindert werden.
Oder habe ich die Ansichten der Kriegsgegner falsch verstanden, hängt
etwa alles nur davon ab, *wer* diese Leute stürzt? Machen es die
Franzosen, ist es super, machen es die USA, ist es ein Verbrechen?

> Wenn man Recht fordert, dann sollte dieses auch universal für alle
> gelten, auch für den Richter (Stichwort "Internat. Strafgerichtshof")
> und das Recht in jedem Falle (also bei gleichen Ausgangsbedingungen)
> gleich angewandt werden. Alles andere wäre IMHO einfach nur
> Rechtsbeugung bzw. Siegerjustiz oder auch das "Recht des Stärkeren",
> womit das geforderte "Recht" ad absurdum geführt wird.

Theoretisch möchte ich dir zustimmen, ich habe vor einem Jahr auch so
gedacht. Inzwischen aber scheint es mir klar, dass abstrakte
Rechtsnormen, deren Gestaltung wie beim Völkerrecht von sehr
eigentümlichen Regeln und partikularen politischen Interessen
abhängt, nicht die ultimate Richtlinie politischen Handelns sein
können. Wer das will, zieht sich in eine Art juristischen
Elfenbeinturm zurück.

> Noch absurder wird es aber, wenn beim Völkerecht sowohl der
> Gesetzgeber wie auch der Richter und die Exekutive wie im Falle Irak
> in einer Hand gebündelt sind. In diesem Falle scheint man aus der im
> Westen in langen Jahrhunderten blutig gewönnenen Einsicht in die
> Gewaltenteilung nichts gelernt zu haben.

Diese Einsicht gilt eben nur in westlichen Staaten, 'westlich'
politisch gemeint, nicht ethnisch. Womit hat ein jeder dieser Regeln
spottendes Regime es verdient, Nutzniesser dieser Regeln zu sein?
Wenn diese Regeln nicht nur zulassen, dass in ihrem Windschatten eine
auf Blut und Terror fußende Schreckensherrschaft errichtet wird, und
die nationalen Reichtümer zu persönlichem Eigentum des Potentaten und
seines Clans gemacht werden, sondern diesen darüber hinaus auch noch
Schutz vor äusseren Angriffen gewähren, dann stimmt eventuell etwas
mit den Regeln nicht.

> Wieso zum Geier passiert in den o.g. Ländern nichts von Seiten der
> USA(außer 1) und 8))?

Weil es niemand will. Anders als anscheinend 80% der Deutschen
denken, ist Kriegführung nicht die Lieblingsbeschäftigung der
Amerikaner. Wenn die Deutschen etwas ändern wollen in diesen Ländern,
sollen sie es doch tun. Ach, sie können das nicht? Na so was.

> Was spricht dagegen, Regimes wie diesen in solchen Situationen ein Ende zu
> machen? Diese einfach weg zu wischen, das wäre eine gute Sache.

Netter Versuch :)

Mit Libyen haben sie ihre Auseinandersetzung gehabt (und bekamen
dafür auch Haue aus Europa), im Ergebnis scheint die libysche Führung
vorsichtig geworden zu sein - aus amerikanischer Sicht ist die
Mission damit fürs erste erfolgreich beendet. Was mit Saudi-Arabien
geschieht muß man abwarten - dieser Verbündete bereitet den USA
ziemliche Kopfschmerzen.

> Aber da kommen wir wieder zu den geostrategischen Interessen, die es zu
> wahren gilt wie bei 2) und 6), oder den nicht vorhandenen Interessen (vor
> allem dem Aufschrei der öff. Meinung bei Verlusten), weil es da nix zu holen
> gibt wie in 7),stimmts?

Stimmt schon, und ist das nicht nachvollziehbar? Deutschland sollte
zu einer ähnlich stark an den eigenen Interessen orientierten
Aussenpolitik zurück finden.

Generell finde ich es nicht sehr sinnvoll, dieses alles oder nichts -
wenn ihr in den Irak geht, müsst ihr aber auch in vierzig andere
Länder gehen, und wenn ihr das nicht tut, dürft ihr auch nicht den
Irak befreien.

Also ich sehne mich nicht nach einer Welt, in der andauernd Krieg
geführt wird vom Westen. Warten wir ab, was sich aus der
Irak-Invasion noch so ergibt. Sie war unter anderem auch ein schwer
mißzuverstehendes Zeichen an viele Gewaltherrscher.

> Wenn Sie mit Ihrem zweifellos vorhanden Intellekt

Danke gleichfalls.

> immer noch behaupten, der Irak sei nur aus reiner Menschlichkeit "Befreit"
> worden,

Ich muß dich enttäuschen, *das* habe ich noch nie behauptet.

> dann scheinen Sie alle Nachrichten zu ignorieren, die Ihre
> eigene Meinung nicht bestätigen.

Ich kann nicht ausschliessen, das auch ich gelegentlich dieser
menschlichen Schwäche unterliege, aber ich denke, es sind nicht
*alle* solche Nachrichten betroffen.

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