Vom Unterschiedlichen Umgang mit Folter, über die Opfer und mal
*nicht* über die Täter/innen, über fehlendes Geld - und vielleicht
mal zum lesen und nachdenken,- ohne Hintergedanken - ohne die Idee
sich auf dem Rücken von geschunden Menschen zu profilieren.
Von Verena Mayer
Von seinen 65 Jahren hat der Mann ein Drittel in Gefängnissen
verbracht. Er ist Kurde, unter Saddam Hussein haben sie ihn immer
wieder abgeholt, zur Abschreckung oder um Informationen aus ihm
herauszupressen. Sie haben auch seinen Sohn umgebracht, und als der
Mann dessen Leiche forderte, sagten sie ihm, er müsse erst die 30
Kugeln zahlen. Dann haben sie ihn wieder verhaftet. Der alte Mann ist
einer der irakischen Asylbewerber, die derzeit im Behandlungszentrum
für Folteropfer in Berlin eine Therapie bekommen. Vor zwei Jahren
gelang ihm die Flucht aus seiner Heimat. Die Bilder aus dem Irak, die
er jetzt sieht, haben ihn schockiert. Überrascht haben sie ihn nicht.
Salah Ahmad ist Psychotherapeut im Behandlungszentrum. Es ist im
Krankenhaus Moabit untergebracht, und auch wenn hinten und vorne das
Geld fehlt, werden hier jedes Jahr 450 Menschen betreut. Die meisten
sind Palästinenser, Kurden oder aus Bosnien, auch Stasi-Opfer wurden
hier behandelt. Die Foltermethoden, wie sie aus Abu Ghraib bekannt
wurden, kennt Ahmad auch aus den Erzählungen seiner Patienten. So
seien sexuelle Handlungen schon in Saddams Gefängnissen ein
wesentlicher Bestandteil der Folterungen gewesen. Ahmad erzählt von
Frauen, die mit zwölf verhaftet wurden und mit vier Kindern das
Gefängnis verließen. Von Männern, die wie Hunde nackt hintereinander
kriechen mussten, von Männern, die mit Leinen an ihren Genitalien
gezogen wurden. Und gefilmt habe man das alles auch damals schon.
Die aktuellen Ereignisse seien für die irakischen Patienten ein
großer Rückschlag, sagt Ahmad. Öffentlich darüber sprechen wollen sie
nicht. Und mit dem 65-Jährigen, der seinen Sohn verlor, habe selbst
er seitdem nur noch telefonischen Kontakt. „Er wollte fast fliegen
vor Freude, dass Saddam weg war, jetzt ist die Enttäuschung umso
größer“, sagt er. Ein Iraker, der schon als geheilt galt und eine
Zeit lang in der Bibliothek des Behandlungszentrums ausgeholfen hat,
muss seine Therapie wieder aufnehmen. Er kommt jetzt wieder zu den
Sitzungen in das rote Backsteinhaus, wo sich im obersten Stock so
etwas wie das Gegenm
odell zu jener Welt auftut, aus der die Patienten kommen. Es ist
ruhig und hell, es gibt einen Saal mit Musikinstrumenten und eine
Sitzecke. Im hinteren Teil, in der Tagesklinik, finden Deutschkurse
statt, in einer Ecke spielen die Kinder der Patienten.
Christian Pross ist Mitglied im Vorstand des Behandlungszentrums. Er
sitzt in seinem Büro und sagt: „Folter hat immer ein System. Ein
bisschen Folter gibt es nicht.“ Und so war es schon unter Saddam
Hussein Usus, junge und ungebildete Leute zu Tätern zu machen. Im
Kurdengebiet wurden vor allem Araber aus dem südlichen Teil des
Landes eingesetzt, denen man Häuser und eine Prämie von 10000 Dollar
versprach. Nicht zuletzt sei Knowhow aus Deutschland zur Anwendung
gekommen, sagt Pross. Saddams Folterer seien auch von der Stasi
ausgebildet worden, und in Syrien gebe es bis heute ein Foltergerät,
das „Der deutsche Stuhl“ heißt.
Der alte Mann und Patient von Salah Ahmad erzählte in der Therapie
von einem jungen Mann, keine 18 und besonders grausam. Der Junge
hatte immer ein Messer dabei und stach auf jeden ein, dem er über den
Weg lief. Der alte Mann erinnerte sich auch an einen Offizier, zu dem
sie „mein Herr“ sagten, der habe ruhig daneben gestanden, als sie
einem Mann im Gefängnis ein Loch in den Schädel bohrten. Als sie rote
Ameisen an die Blutspur setzten, die aus dem Kopf lief.
Es sind nicht immer konkrete Personen, an die sich die Opfer
erinnern, sagt Ahmad. Bei vielen ist nur ein Geräusch, ein Geruch
übrig geblieben, vage wie die Zeichnungen und Figuren, die in dem
kleinen Saal für Gestalttherapie entstanden sind. Tiere aus Ton mit
riesigen Gliedmaßen, ein Schuh, über den ein Gewitter niedergeht. Und
die Täter? Egal, um welches System es sich handle, sagt Christian
Pross – Folter werde immer mit der Bekämpfung von Terrorismus
gerechtfertigt. Damals im Irak genauso wie heute.
Tagesspiegel 18.05.2004
*nicht* über die Täter/innen, über fehlendes Geld - und vielleicht
mal zum lesen und nachdenken,- ohne Hintergedanken - ohne die Idee
sich auf dem Rücken von geschunden Menschen zu profilieren.
Von Verena Mayer
Von seinen 65 Jahren hat der Mann ein Drittel in Gefängnissen
verbracht. Er ist Kurde, unter Saddam Hussein haben sie ihn immer
wieder abgeholt, zur Abschreckung oder um Informationen aus ihm
herauszupressen. Sie haben auch seinen Sohn umgebracht, und als der
Mann dessen Leiche forderte, sagten sie ihm, er müsse erst die 30
Kugeln zahlen. Dann haben sie ihn wieder verhaftet. Der alte Mann ist
einer der irakischen Asylbewerber, die derzeit im Behandlungszentrum
für Folteropfer in Berlin eine Therapie bekommen. Vor zwei Jahren
gelang ihm die Flucht aus seiner Heimat. Die Bilder aus dem Irak, die
er jetzt sieht, haben ihn schockiert. Überrascht haben sie ihn nicht.
Salah Ahmad ist Psychotherapeut im Behandlungszentrum. Es ist im
Krankenhaus Moabit untergebracht, und auch wenn hinten und vorne das
Geld fehlt, werden hier jedes Jahr 450 Menschen betreut. Die meisten
sind Palästinenser, Kurden oder aus Bosnien, auch Stasi-Opfer wurden
hier behandelt. Die Foltermethoden, wie sie aus Abu Ghraib bekannt
wurden, kennt Ahmad auch aus den Erzählungen seiner Patienten. So
seien sexuelle Handlungen schon in Saddams Gefängnissen ein
wesentlicher Bestandteil der Folterungen gewesen. Ahmad erzählt von
Frauen, die mit zwölf verhaftet wurden und mit vier Kindern das
Gefängnis verließen. Von Männern, die wie Hunde nackt hintereinander
kriechen mussten, von Männern, die mit Leinen an ihren Genitalien
gezogen wurden. Und gefilmt habe man das alles auch damals schon.
Die aktuellen Ereignisse seien für die irakischen Patienten ein
großer Rückschlag, sagt Ahmad. Öffentlich darüber sprechen wollen sie
nicht. Und mit dem 65-Jährigen, der seinen Sohn verlor, habe selbst
er seitdem nur noch telefonischen Kontakt. „Er wollte fast fliegen
vor Freude, dass Saddam weg war, jetzt ist die Enttäuschung umso
größer“, sagt er. Ein Iraker, der schon als geheilt galt und eine
Zeit lang in der Bibliothek des Behandlungszentrums ausgeholfen hat,
muss seine Therapie wieder aufnehmen. Er kommt jetzt wieder zu den
Sitzungen in das rote Backsteinhaus, wo sich im obersten Stock so
etwas wie das Gegenm
odell zu jener Welt auftut, aus der die Patienten kommen. Es ist
ruhig und hell, es gibt einen Saal mit Musikinstrumenten und eine
Sitzecke. Im hinteren Teil, in der Tagesklinik, finden Deutschkurse
statt, in einer Ecke spielen die Kinder der Patienten.
Christian Pross ist Mitglied im Vorstand des Behandlungszentrums. Er
sitzt in seinem Büro und sagt: „Folter hat immer ein System. Ein
bisschen Folter gibt es nicht.“ Und so war es schon unter Saddam
Hussein Usus, junge und ungebildete Leute zu Tätern zu machen. Im
Kurdengebiet wurden vor allem Araber aus dem südlichen Teil des
Landes eingesetzt, denen man Häuser und eine Prämie von 10000 Dollar
versprach. Nicht zuletzt sei Knowhow aus Deutschland zur Anwendung
gekommen, sagt Pross. Saddams Folterer seien auch von der Stasi
ausgebildet worden, und in Syrien gebe es bis heute ein Foltergerät,
das „Der deutsche Stuhl“ heißt.
Der alte Mann und Patient von Salah Ahmad erzählte in der Therapie
von einem jungen Mann, keine 18 und besonders grausam. Der Junge
hatte immer ein Messer dabei und stach auf jeden ein, dem er über den
Weg lief. Der alte Mann erinnerte sich auch an einen Offizier, zu dem
sie „mein Herr“ sagten, der habe ruhig daneben gestanden, als sie
einem Mann im Gefängnis ein Loch in den Schädel bohrten. Als sie rote
Ameisen an die Blutspur setzten, die aus dem Kopf lief.
Es sind nicht immer konkrete Personen, an die sich die Opfer
erinnern, sagt Ahmad. Bei vielen ist nur ein Geräusch, ein Geruch
übrig geblieben, vage wie die Zeichnungen und Figuren, die in dem
kleinen Saal für Gestalttherapie entstanden sind. Tiere aus Ton mit
riesigen Gliedmaßen, ein Schuh, über den ein Gewitter niedergeht. Und
die Täter? Egal, um welches System es sich handle, sagt Christian
Pross – Folter werde immer mit der Bekämpfung von Terrorismus
gerechtfertigt. Damals im Irak genauso wie heute.
Tagesspiegel 18.05.2004