Wozu eine falsche Moral erfinden, wenn reichlich Gebote zur richtigen auf dem Tisch liegen?
Die jeden Tag geltend gemachte und einzig richtige Moral "gebietet" uns, wie selbstverständlich und ganz tough - wie bei "Anne Will" -, nachzuhaken, warum Deutschland und EU denn immer noch nicht genug Waffen liefern, die NATO sich immer noch nicht stärker, direkter und aktiver als Kriegspartei in den Krieg einmischt.
Die befragten Politiker wie Baerbock, Lambsdorff und ein deutscher Ex-NATO General sagen gegen dieses moralische Voranpreschen recht offen, dass es bei Lieferungen von genügend schwerem Kriegsgerät nicht mal eben mit dem Hinstellen getan ist, eine NATO-Flugverbotszone in den direkten Krieg mit Russland führe, dann womöglich bald zum Atomkrieg, den man aber nur wegen der Ukraine, und für sie, momentan nicht riskieren möchte. Da muss die sonst erwünschte moralische Beschleunigung mal realistisch etwas ausgebremst werden.
Anhand der richtigen Moral von Frau Will und dem ukrainischen Botschafter Melnyk, der die dramatische Bedrohung ganz Europas und der Welt durch Russland hervorhebt - obwohl der Invasion ja schon seit dem dritten Tag militärisches Versagen und Mißerfolge, z.B. bei der Besetzung Kiews, nachgesagt wird - lernen wir, dass es irgendwie schon als Drückebergerei erscheinen muss, wenn sich verantwortliche Politiker mit der "Gefahr" eines Atomkriegs befassen, statt mit allem draufzuhauen, was sich Moderatorinnen und ukrainische Botschafter unter "härtesten NATO-Mitteln" als noch effektiver vorstellen können.
In der richtigen Moral geht es schließlich, wie gestern wieder in "Hart aber fair", um die ausschließlich von Putin verschuldeten Leiden der Flüchtenden. Wie vom Fließband laufen deren unzählige, ganz persönliche Erlebnisse, und kaum noch steigerungsfähig, besonders die der Kinder, ihre Tränen, ihr traumatisiertes Schweigen, aus dem die Reporterin vor Ort, fast unfähig überhaupt Worte zu finden, dann aber doch recht flüssig alles herauslesen kann, was sie zu ihrer "menschlichen" Deutung des Krieges herauslesen möchte.
In der richtigen "Hart aber fair"-Moral darf man sich auch hoffnungsvoll ausmalen, wie so ein Staatschef "beseitigt" werden könnte, am besten durch seine eigenen Untergebenen oder Sturz durch Oppositionelle. Unter un-demokratische Vorstellungen, typisch diktatorische Methoden, Hassrede und Mordaufrufe fällt sowas nicht, und zur Informationspflicht gehören schließlich Steckbriefe, spektakuläre Jagdszenen und hingerichtete Diktatoren schon länger dazu.
Mit der Frage, ob das nicht genau dieselben Ideen für die Praktiken sind, die man den angeprangerten unter den verschiedenen Diktaturen vorwirft, braucht man sich nicht weiter zu belasten, weil man ja zu den Guten gehört. Schon deswegen ist es was völlig anderes und kann daher nichts Schlechtes sein.
In dieser richtigen Moral soll man nur noch Mitgefühle aufbringen, anhand des Leidens der Flüchtlinge, die sich sogar vorbildhaft dagegen sträuben als "Flüchtlinge" bezeichnet zu werden, wohl um nicht in denselben Topf mit den schlechten und in Europa unerwünschten Flüchtlingen zu kommen. Das Mitgefühl mit dem Leid dieser vorbildlichen "Reisenden" soll auch ihren Männern gelten, die ebenso vorbildlich Opfer bringen, im Kampf für "IHR (?) Land", eine "freie", d.h. EU-abhängige und NATO-verbundene Ukraine, die man aber aus dem vielen Mitgefühl heraus besser nicht weiter thematisieren sollte, weil jede sachliche Befassung mit Gründen und Zwecken dieses Kriegs in "Putin-Versteherei" entarten könnte.
In der richtigen Moral gehören sich gar keine Erklärungen mehr, weil Verstehen nicht nur mit Verständnis der Sache zu tun haben soll, sondern ziemlich idiotisch sofort mit moralischem Verständnis für die falsche Seite gleichgesetzt wird. Wer Russlands Kriegsgründe erklären will entzieht sich der richtigen moralischen Pflicht zur "schärfsten Verurteilung". In jedem ukrainischen Flüchtlingskind und seiner Familie soll man ein mutwilliges Opfer des russischen Despoten erblicken, der sich nun offensiv, uneinsichtig und völlig unberechtigt gegen die Zerkleinerung seiner Machtmittel und Ansprüche stellt.
In der richtigen Moral darf man also nur noch die geheuchelte Frage stellen: Wie kann DER bloß ...!?, weil jedem Bürger bei der eigenen Nation glasklar ist, dass die sich natürlich nicht von anderen behindern oder bedrohen lassen darf. Da wird in den Medien dann gar nicht fassungslos und eher locker über "wirtschaftliche Vernichtung, Atom- und 3. Weltkrieg" geplaudert, was in deutschen Talkshows natürlich total berechtigt ist, bei Konkurrenten der eigenen Herrschaft aber machtvoll untersagt werden müsste.
So folgt aus der Klage über die falsche Moral eben immer nur das Billige, dass es so eine nicht geben darf, weil die ja nicht die gebotene richtige ist.