So sehr ich mit der politischen Tendenz und vielen prangerwürdigen Beispielen einig gehe, kann ich mich dennoch nicht des Eindrucks erwehren, formal mit einem sehr bürgerlichen Feuilleton-Beitrag bedacht worden zu sein, der mit enzyklopädischem Eifer das Vorkommen eines einzelnen Begriffs, hier 'Gefahr' in der Öffentlichkeit durchdekliniert. Daran stört in erster Linie eine gewisse innere Zusammenhangslosigkeit, fast Beliebigkeit.
Dass das sich an der Macht gütlich tuende Bürgertum mit seinem im eignen Fleiss allenthalben, in jeder Sphäre definitorisch festlegt, was Gefahr ist und was nicht, dabei die Proletarier - die Mehrheit, auch wenn sie nicht so bezeichnet sein will - über den selben Kamm scherend, ist keine sensationelle Erkenntnis. Macht ist in hohem Mass die Macht zur Durchsetzung eines bestimmten Framings. Verdienstvoller und origineller schon der Versuch, die offenbar - oder nur scheinbar - Vielen ganz unsichtbaren Grenzen der bürgerlichen Freiheit auch unter Standardumständen anzusprechen. Allerdings gerät Grohn dabei unversehens in eine heikle Zone, sind es doch empirisch nachweislich gerade die gesellschaftlich Benachteiligten, für die die Gefahr, von der Seuche eingeholt zu werden, am grössten ist. Da sind die beengten Wohnverhältnisse zu nennen, aber auch durch Schadstoffe oder einen höheren sozialen Stresspegel geschwächte Immunsysteme. Bekanntlich kann das alles zusammen bis zu zehn Jahre Lebenszeit kosten.
Man muss schon auch analysieren, warum genau bestimmte Gefahren thematisch in den öffentlichen Diskurs aufgenommen werden, andere nicht. Das hat Grohn in diesem ersten Teil jedenfalls nicht geleistet. Der flüchtige Hinweis auf ideologische Verzerrung allein reicht nicht.