Re: billiges Moralgeseier ex post

blu_frisbee schrieb am 03.03.2018 13:53:

Dieser Moralische ist billig. Die sind halt Risiken eingegangen die schlagend wurden. Wenns geklappt hätte würden alle jubeln. Geklagt wird ja nur deshalb, weils nicht geklappt hat. Und hinterher sind alle schlauer.

Na ja, du verlangst ja nichts weniger als daß die Leute, die nun absehbar die Rechnung bezahlen müssen, die Sozialrentnerin, der Krankenhauspatient, der Arbeitslose, daß all diese Leute jetzt ganz großzügig sind und sagen: Der arme Reeder. Nee, das konnte er doch nicht ahnen, daß das eine Blase war. Schwamm drüber. "Wir schaffen das".

Tag für Tag hämmert uns der ideologische Apparat ein, daß wir in der besten aller möglichen Welten leben, daß die Wirtschaft brummt, daß wir uns auf unsere kompetenten und integren Verwalter verlassen können.

Aber gerade an den Punkten, wo die Spekulationen der Akteure mal nicht aufgehen, wo sich die Pleite nicht mehr verheimlichen läßt, da reißt der ideologische Nebel auf. Für einen kurzen Moment erhält das Publikum mal einen Blick auf die Verhältnisse in ihrer ganzen häßlichen Nacktheit.

Ich denke, man sollte das subversive Potential solcher Momente nicht unterschätzen. Der Journalist dieser Sendung über die Nordbank, der hat wirklich seine Arbeit getan. Er hat uns einen Blick durch den ideologischen Nebel erlaubt und hat die Akteure für einen Moment erkennbar gemacht.

Finde den Unterschied: Sozialrentner und Reeder. Beide sind Getriebene im System der Kapitalverwertung. Einer bückt sich beim Lidl nach den billigen Nudeln. Der andere erhält 500 Mio. geschenkt. A conto Steuerzahler. Finde den Unterschied!

Ich rege mich auch nicht nur darüber auf, daß es schief gegangen ist. Mir ist klar, daß der Reeder, wenn seine Spekulation aufgegangen wäre, dann eben auf zehn Schiffen Seeleute ausbeuten würde statt nur auf zweien.

Im übrigen hat auch Marx einen großen Teil des ersten Bandes im Kapital auf die drastische Schilderung der ursprünglichen Akkumulation und der aktuellen Verhältnisse in England verwendet. Und ich hatte schon den Eindruck, daß er damit auch moralisch Stellung genommen hat.

Diese Sorte Kapitalismuskritik greift absichtlich zu kurz, sie macht sich selbst blöde, sie will nicht wirklich wissen. Marx Kapital ist jetzt zum Lesen in der Welt.

Wir lesen das Kapital. Aber wir lesen daneben selbstverständlich auch die Zeitung. Und irgendwann muß man mal von der begrifflichen Arbeit zur Oberfläche der Erscheinungen aufsteigen. Denn da findet der Klassenkampf statt.