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  • kemmerich

mehr als 1000 Beiträge seit 11.02.2020

Marktwirtschaft - Kapitalismus - Neoliberalismus

Viele hätten gerne die soziale Marktwirtschaft wieder zurück, zum Beispiel Sahra Wagenknecht. Vor einigen Jahren erschien ihr Buch "Freiheit statt Kapitalismus", in dem sie u.a. "Erhard reloaded" fordert. Aus meiner Sicht handelt es sich um eine Verklärung der Vergangenheit, denn bereits zu Erhards Zeiten lebten wir nicht in einer Marktwirtschaft, sondern im Kapitalismus. Und der neigt systembedingt zur wirtschaftlichen Konzentration, steht also Erhards Zauberformel "Wohlstand durch Wettbewerb" diametral entgegen. Erhard hatte ein erschreckend naives Verständnis von Ökonomie, tatsächlich ist er nichts als ein Mythos; Adenauer hat damals dafür gesorgt, dass er mit seinem Quatsch nicht durchkam (und als Erhard selber Kanzler wurde, scheiterte er ziemlich schnell). Vielleicht ist das deshalb unserer Aufmerksamkeit entgangen, weil es den Wohlstand selbst ja durchaus gab (den es mit einer Marktwirtschaft nicht mal annähernd gegeben hätte!). Man kann den Kapitalismus also politisch steuern, d.h. seine Dynamik nutzen und trotzdem gute Sozialpolitik machen. Die 70er waren doch nicht schlecht, oder?

Was aber nicht geht: Kapitalismus ohne Konzentration. Denn zentral sind in diesem System Investitionen (in technischen Fortschritt); es werden immer größere Räder gedreht, aus Tech wird HiTech, der Aufwand steigt, die Investitionssummen auch. Immer weniger und dafür immer größere Konzerne hauen Milliarden raus, um z.B. Medikamente zu entwickeln. Da muss vorher schon sicher sein, dass sich das lohnt. Mit Wettbewerb verträgt sich das jedenfalls auf gar keinen Fall.

Der Neoliberalismus ist deshalb so gefährlich, weil seine Kernbotschaft so schrecklich attraktiv ist. Und anschlussfähig an den beliebten Erhard-Mythos, denn im Grunde ist die Botschaft die gleiche wie bei Erhard: Das freie Spiel der Kräfte regelt alles am besten. Hinzu kommt der unheilvolle Irrglaube, alles berechenbar machen zu können. Das hat uns drei Wirtschaftskrisen und eine Sozialstruktur beschert, die von krasser Ungleichheit geprägt ist.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn allgemein akzeptiert würde, dass unser Wirtschaftssystem Kapitalismus ist und war, und dass Kapitalismus grundsätzlich etwas anderes ist als Marktwirtschaft. So schön die Vorstellung auch ist, dass Menschen ganz automatisch zum Wohle aller zu Höchstform auflaufen, wenn man sie einfach mal machen lässt, ohne störende Restriktionen, sie ist leider falsch und führt zu Ungleichgewichten, die die Zivilisation bedrohen.

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