>>Im aufgeregten Barcelona erwartete man von den Westmächten nichts mehr. Anders im "ordentlicheren" Valencia, in dem ich mich während jenes Frühjahrs ein wenig umschauen konnte. Ich vergaß nie, wie verzweifelt eine junge sozialistische Rechtsanwältin auf mich einredete: "Was tut das Ausland? Warum unternimmt Frankreich nichts? Bisher hilft uns nur die Sowjetunion..." Georg Orwell - den ich ein paarmal flüchtig gesehen hatte - da wir in Barcelona unter dem Dach desselben, von der linkssozialistisischen POUM (Partito Obrero de Unificación Marxista) verwalteten Hotels wohnten, trug diesen Pessimismus mit nach Hause. Sein "Hommage to Catalonia" schließt mit einer Klage über den "tiefen Schlaf" seines Landes, des Westens, der Demokratien: "Ich fürchte, wir werden nie daraus erwachen, ehe uns nicht das Krachen der Bomben daraus erweckt."
Orwell, hochaufgeschossen und schmal, zehn Jahre älter als ich, war in Indien aufgewachsen und hatte in Burma bei der Polizeitruppe gedient. In Spanien verbrachte er, nach eigener Schilderung, "fast sechs Monate an der Front von Aragon, in Huesca, bis ein faschistischer Scharfschütze mit durch die Kehle schoß ... Durch eine Reihe von Zufällen schloß ich mich nicht der Internationalen Brigade an, wie es die Mehrzahl der Ausländer tat, sondern der POUM-Miliz..."
Der Zufall wollte es, daß ich in der Nähe war, als Orwell Mitte März 1937 schwer verwundet wurde. <<
aus Willy Brandt: Erinnerungen, 1982