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mehr als 1000 Beiträge seit 10.01.2003

Es ist weniger der Mangel an Parteien, ...

... als die Unterwanderung durch feindselige, undemokratische Kräfte.

An anderer Stelle schrieb ich: die Piraten-Partei ist auch einmal recht erfolgreich gestartet mit dem Ansatz der "Graswurzeldemokratie" - und wurde innerhalb kürzester Zeit von innen heraus gekapert. Denn die Mitglieder jener Partei haben ja geglaubt, dass alle Menschen so denken wie sie und den Wunsch nach Mitbestimmung auf kleinster Basis an hegen und auch niemand sich wichtiger machen möchte als der Nächste. Das hat so lala funktioniert, dann standen schon wieder Köpfe an der Spitze der Partei, die nicht im Sinne der Graswurzeldemokratiebewegung gehandelt haben, sondern vor allen Dingen sich selbst gesehen haben. Abgesehen davon - und noch gefährlicher - ist aber der erleichterte Einzug von aggressiven politischen Memes: in einer Partei, in der nach Statut alle Meinungen zulässig und alle Debatten erlaubt sind, gewinnen jene Debatten die Oberhand, deren Vertreter es schaffen, am schnellsten Mehrheiten zu generieren. Es findet ja keine Vorauswahl statt. Und so fand sich u.a. auch eine stark feministische Strömung in einer Partei wieder, die eigentlich vor allen Dingen sich mit den neuen Medien, mit Internet, der Urheberrechtsreform bezüglich Musik, Film und Computerspiele beschäftigen wollte.

Jetzt möchte Frau Wagenknecht vielleicht ihre eigene Variante der Linken gründen und tatsächlich hätte sie dazu die Möglichkeit dazu, weil sie vielen Menschen aus der Seele spricht. Böse Zungen würden behaupten, sie sei eine Populistin. Aber sollten Politiker nicht im Sinne des Populus, des gemeinen Volk sprechen? Für wen sollten Politiker denn eigentlich stehen, für ihren jeweiligen Wähler, für die Bevölkerung allgemein oder für die Interessen, die über ihre Berater zugetragen werden? Eine Mehrfachantwort ist hier nicht möglich, nur eine Antwort ist richtig.
In einer Demokratie -sollte- jeder Politiker und jede Politikern unabhängig ihrer Wählerschaft im Sinne der Bevölkerung handeln. Die eigenen Wähler sollten zwar eine grobe Richtung vorgeben, welche Punkte der politischen Agenda der jeweiligen Partei Geltung bekommen sollten, aber am Ende ist es ja die politische Debatte, die mit Berücksichtigung der gesamten Bevölkerung und gemäß des Eides den Kurs vorgeben. Denn wäre es anders, wäre ja auch eine Koalitionsbildung kaum möglich, etwa Schwarz-Grün, denn beide Parteien hätten normalerweise stark unterschiedliche Ansichten.

Die Partei der Frau Wagenknecht wäre also per Definition wohl eine "populistische Partei" entsprechend der Motivation, sie überhaupt zu gründen. Wie lange es wohl dauert, bis die Partei ähnlich unterwandert und gekapert wird, wie die Piraten-Partei?
Welche Kräfte dieser Tage sich nach und nach einschleichen, ist offensichtlich, wenn man sich umschaut: wir haben EINE Grüne Partei, die es aber irgendwie schafft, für Umwelt- und Klimaschutz nach vorn zu streiten, und gleichzeitig kein Problem in der aktiven Unterstützung einer Seite in einem kriegerischen Konflikt sieht und am schärfsten "mehr Waffen" und "Eskalation" fordert. Wir haben eine SPD, die nur noch formal für den "kleinen Arbeiter" steht und Seniorpartner in der Regierung ist, aber der sprichwörtliche Hund ist, der wackelt, weil der Schwanz sich bewegt. Schaut man dann hinein, interessiert der Arbeiter überhaupt nicht, sondern ausschließlich die gerade angesagte Mode-Minderheit, ansonsten wujrde großzügig bei den Grünen abgekupfert. Früher war es "irgendwas mit Medien", heute sind wir bei "irgendwas mit Klima". Die FDP kann da nur noch Stimmmehrheitsbeschaffer sein und springt mal mit auf den Klimazug, mal weg.
Auch bei der Opposition (Linke, CDU) fährt man neuerdings lieber Klima-Zug und schafft es nur mit Mühe, sich von Eskalationspolitik und Kriegswaffenlieferungen zu distanzieren, wohlwissend, dass am Ende sie genauso handeln würden wie die Regierungskoalition. Opposition ist eben nur "Dagegensein" statt "konstruktive Kritik". Und dann haben wir die AfD, deren Hauptjob darin besteht, die Unzufriedenen einzusammeln, damit die gar nicht erst auf die Idee kämen, sich zu organisieren in Form einer "außerparlamentarischen Opposition".

Wie lange also, bis Frau Wagenknecht mit ihrer noch zu gründenden Partei vor dem gleichen Problem steht, welche durch starke neoliberale, transatlantische und klima-aktivistische Kräfte entstehen werden? Die Linke wäre sicherlich nicht in der zweifelhaften Position, sich selbst zu zerlegen, wenn sie frühzeitig bestimmten politischen Memes gar keinen Zugang gewährt hätte. So aber gibt es verschiedene, teils völlig konträr gegenüber stehende Strömungen, zwischen denen ursprünglich linke Positionen, die sich mit den Rechten der Arbeiterschaft und einer stärkeren Teilhabe der Arbeiter am Wohlstand der Gesellschaft (aka Arbeit muss sich lohnen) beschäftigt haben, zerrieben werden. Interessanterweise wird ja vor allen Dingen den Linken vorgeworfen, Transferleistungspolitik betreiben zu wollen, während die aktuelle Regierung ganz genau das tut: Geld lustig rumtransferieren, und zwar von denen, die arbeiten gehen und Steuern zahlen zu denen, die nichts dergleichen tun.

Für die Benennung dieses Umstands hat ja u.a. auch Frau Wagenknecht sich einiges anhören dürfen. Besonders interessant: wenn Frau Weidel spricht, klingt das in weiten Passagen fast genauso wie das, was man von Frau Wagenknecht hört. Entweder haben die beiden den gleichen Redenschreiber, oder die Positionen der beiden Frauen haben nicht so viel mit den offiziellen Positionen der jeweiligen Partei zu tun, denen sie angehören. Auch das sei mal die Frage wert, warum das so ist - und wieso eine von einer offiziell Linken-Politikern gegründete Partei eine gute Chance hat, links wie rechts der politischen Landschaft die Lager auszuräumen und sowohl Linke als auch AfD empfindlich zu schwächen.

Vielleicht fehlt also wirklich eine "populistische" Partei, die im Sinne des Populus handelt. Aber die wäre, wenn sie einmal erfolgreich wäre, sehr viel gefährlicher als die von der Graswurzelideologie getriebene Piratenpartei. Und wird vermutlich bereits in der Gründungsphase angegriffen und von innen heraus zersetzt, dass, bei allem nötigen Respekt, Frau Wagenknechts Ansinnen, der Bevölkerung eine Stimme zu geben, keine Chance hat.

Es ist also nicht so sehr der Mangel an Parteien, als vielmehr der Mangel an Respekt der etablierten Parteien vor der Bevölkerung als auch die Motivation, die einfachen Menschen draußen zu halten und Klientel- bzw Modepolitik zu betreiben. Unsere parlamentarische Demokratie ist praktisch reformunfähig und nicht willens, noch länger eidgetreu im Sinne von Gesellschaft und Nation zu handeln und wird alle Kräfte in Bewegung setzen, damit das sich auch nicht ändert.

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