meis1 schrieb am 03.06.2024 13:03:
"... wie es ein zunehmend verzweifeltes und extremistisches ukrainisches Regime für richtig hält ..." -
- Warum wird die Regierung der Ukraine als "Regime" denunziert?
Weil der Begriff im deutschen Sprachraum durch die Kontextualisierung des Begriffes in den Mainstreammedien in den letzten Jahrzehnten einen negativen Grundtenor bekommen hat, den der Begriff im englischen Sprachraum nicht ganz vergleichbar hat und dies eventuell bei einer Übersetzung nur schwer transportierbar ist.
Ich vermute, dass die Verhängung des Kriegsrechtes in z.B. einem angegriffenen Land, fast automatisch dazu führt, dass die Regierung als "Regime" bezeichnet werden kann.
(vergl. dazu auch https://de.wikipedia.org/wiki/Regime#Allgemeiner_Sprachgebrauch )
- Was ist an dieser Regierung "zunehmend extremistisch"?
M.E. einige Dinge:
- Die weitgehende Ausschaltung der Opposition in einer (nicht durch diese Regierung verursachten) Notlage.
- Verabschiedung von Gesetzen, die bestimmte Meinungsäußerungen unter Strafe stellen (z.B. Aussagen zur Akzeptanz von Gebietsverlusten im Zusammenhang mit Friedensverhandlungen).
- Der Einsatz tödlicher Gewalt gegen zivile Strukturen der Besatzer in den besetzten Gebieten der Ukraine.
- Zwangsrekrutierungen.
Es ist natürlich klar, dass die Ursache für diesen Extremismus im russischen Überfall liegt, der in seiner Weise einen - gegen die staatliche Souveränität der Ukraine gerichteten - viel massiveren Gewaltakt darstellt.
- Welche Regierung welchen Landes wäre nicht "zunehmend verzweifelt" angesichts eines unaufhörlichen, völkerrechtswidrigen Überfalls durch einen der Form nach übermächtigen Nachbarn, der sich keinen Deut um hunderttausende Tote und die wirtschaftlichen Grundlagen eines ganzen Landes schert?
Fakt ist: an der Schraube der militärischen Gewalt in der Ukraine dreht seit Jahren primär Russland, auch wenn es weltweit im Lauf der Jahrzehnte mehr als genug Fälle gab, in denen das von den USA gemacht wurde.
Ich glaube schon, dass nicht allein Russland für die Katastrophe dieses Krieges verantwortlich ist - auch, wenn letztlich die russische Regierung allein die Entscheidung, diesen (m.E. nicht zu rechtfertigenden) Krieg zu beginnen, getroffen hat und damit sicher hauptverantwortlich ist.
Mir scheint, dass der Krieg von zahlreichen Beteiligten auf beiden Seiten seit wahrscheinlich mehr als 10 Jahren billigend in Kauf genommen wurde - auf westlicher Seite denke ich an Leuten wie Victoria Nuland und Robert Kagan, auf russischer Seite ist das m.E. etwas diffuser; so glaube ich, dass z.B. Putin in völliger Missachtung der Souveränität der Ukraine den Krieg zum Schutz von Russland (bzw. seines Regimes) für nötig hielt (und nicht aufgrund seiner imperialen Ambitionen (die er vermutlich trotzdem hat). Und das Problem in Russland ist sicher auch, dass die Entscheidung zum völkerrechtswidrigen Angriff auf keinen Widerstand stieß.
Und der Westen hat um den Jahreswechsel 2021 / 2022 m.E. im Kern zugesehen. Formal wurde natürlich vorher protestiert und es gab Reisen nach Moskau - aber die amerikanische Verweigerung, in irgendeiner Weise mit Russland über dessen vermeintliche oder tatsächliche Sicherheitsprobleme zu verhandeln in Verbindung mit der Zusage der Unterstützung der Ukraine und gleichzeitiger Ansage, dass man nicht militärisch eingreifen wird, kann man auch fast schon als Aufforderung verstehen ("Wir wissen, was Ihr wollt. Wir finden das nicht gut und werden Eurem potentiellen Opfer helfen, werden aber nicht militärisch eingreifen. Und wir möchten nicht mit Euch reden, weil wir uns nicht erpressen lassen. Für alles, was passiert, seid Ihr allein verantwortlich..." oder so ähnlich...).
Ich sehe den Krieg trotz aller russischen Verantwortung als Stellvertreterkrieg: Westeuropa wurde geeint und stärker an die USA gebunden, russischer Einfluss - auch wirtschaftlicher Natur - auf Westeuropa wurde zugunsten der USA unterbunden. Speziell Deutschland verliert seinen Energielieferanten und muss dies mit (deutlich teureren) Importen auch aus den USA kompensieren und baut trotzdem wirtschaftlich ab. Und auf jeden Fall ist die Verhinderung einer Annäherung Russlands an Europa - bekanntermaßen ein erklärtes außenpolitisches Ziel der USA - auf vielleicht Jahrzehnte sichergestellt. Die Ukraine - trotz aller Bekenntnisse und Propaganda - interessiert nicht wirklich.
Das, was Russland tut, ist unverzeihlich, völkerrechtswidrig, verbrecherisch und (auch) dumm.
Das, was "wir" (der Westen) für die Ukraine tun, soll nobel und gerecht und auch notwendig wirken - ehrlich ist es m.E. aber nicht.