Wie war das noch? "Wir dürfen nicht in eine Lohn-Preis-Spirale geraten" mahnten die Wirtschaftsvertreter letztes Jahr noch an. Die Inflation sollte also durch steigende Löhne nicht auch noch angeheizt werden. Ende vom Lied: alles, was nicht tarifgebunden entlohnt wird, guckt in die Röhre. Auch die 3000 Euro "freiwillige Leistung" vom Arbeitgeber gibt's nicht für jedermann (mein Chef meint, die 150.000 Euro für die Belegschaft hat er nicht, und in dem Gewerbe glaube ich ihm das gern). Ergo: wer privat sich um sein Gehalt sorgen muss, bekommt seine Forderungen nicht durchgedrückt.
Anpassungsverzicht in breiten Teilen der Gesellschaft - die Preise steigen trotzdem.
Und jetzt wird eben mal eben der Preis verdoppelt mit der dreisten Lüge, das seien die "wahren Preise". Wahr ist daran nur, dass jeder Geschäftemacher meint, dass ihm eine Rendite wie bei Apple zustünde - also lockerflockige 80%. Da ist längst der Verstand abgeschaltet: auf die simple Logik, dass man sich die Produkte auch leisten können muss und will, kommen sie nicht.
Mein Edeka in der Ecke hat seit so drei Jahren etwa einen "Versuch" laufen: Hähnchenfleisch, das Kilo 33,- Euro. Nein, nicht etwa edle Hühnerbrust, sondern das Geschnetzelte. Also das billigste Fleisch vom Hühnchen. Das Huhn selber soll von einem Hof in Freilandhaltung stammen, aber wenn ich da den örtlichen Bauern frage, was er für sein Freilaufhuhn bekommt, schüttelt der nur den Kopf. Bei ihm kommt das Geld nicht an. Also wo landet es dann? Natürlich beim Einzelhandel.
Wann ist "Genug"? Wann ist vorbei mit der Bescheidenheit bei den Arbeitnehmern? Eigentlich müsste es jetzt eine Gehaltsrunde geben. Allein der Mindestlohn müsste um 25% steigen, nur um die übelsten Auswirkungen des Teuerjahrs 2022 auszugleichen. Bis 2024 müssten nochmal 20% oben drauf, um 2023 zu kompensieren. Und mit den Mindestlöhnen auch müssten alle anderen Einkommen nach oben korrigiert werden - ohne, dass die Preise steigen. Da werden einige Kleinbetriebe wiehern, wenn sie da zahlen dürfen: sie erwirtschaften schlichtweg nicht (mehr) den Umsatz, den sie bräuchten um die Lohnforderungen zu begleichen. Aber die Arbeitnehmer brauchen das Geld, sonst lohnt es sich nicht mehr, arbeiten zu gehen.
Würde in Deutschland der WAHRE PREIS für Erwerbsarbeit gezahlt, würde das Einkommensniveau bei gleichbleibenden Lebenshaltungskosten um 100% steigen. Angefangen bei der kleinen Putzfrau bis hin zum Ingenieur. Einkommen zwischen 4000 - 10000 Euro monatlich wären auf einmal "normal". Pflegebereich? Einschließlich Nacht- und Sonntagszuschläge kostet dann die Krankenpflegerin im ersten Jahr eben schonmal rund 6000,- Euro brutto (ohne Arbeitgeberanteil). Das ist der WAHRE PREIS für die Versorgung pflegebedürftiger Menschen.
Ich frage mal ernsthaft in die Runde: wieso sehen wir es als Naturgesetz an, dass ranghohe Firmenlenker sechs- bis siebenstellige Nettoverdienste nach Hause tragen auf's Jahr gerechnet, aber sehen es als unverschämt an, wenn Handwerker, Fernfahrer, Pflegekräfte usw. vernünftig bezahlt werden wollen?
Was ist der "wahre Preis der Arbeit"?
Ich würde ja gern 12,- Euro je Kilo Freilaufrindfleisch zahlen, wenn ich das Geld dafür noch übrig hätte. Is aber nich. Also entweder günstiger Fleisch oder, immer öfter, ganz drauf verzichten. Wenn man aus finanziellen Gründen verzichten muss, sind solche Aktionen übler Hohn.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (01.08.2023 15:58).