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  • archenoe

mehr als 1000 Beiträge seit 05.02.2004

Was ist in der "Orgie der Kommunikation" aus dem Blick geraten?

Abgesehen von zahlreichen fragwürdigen und auch abwegigen Ansichten Sebastian Seidlers kann sein Artikel immerhin anregen, den Blick auf das zu richten, was in der angeblichen "Orgie der Kommunikation" untergegangen ist.

1. Phase

Nahezu alle Staaten und Gesellschaften waren zu Beginn der Epidemie, die sich schnell zur Pandemie auswuchs, nicht genügend vorbereitet, neigten zur Verschleierung oder zur Verdrängung der Gefahren und reagierten zu spät oder zur schwach - manche Staaten/Gesellschaften einige Wochen, viele monatelang, einige immer noch. Die Regierungen regelten in dieser ersten Phase der Coronapandemie den Widerspruch zwischen Erhaltung genügend gesunder Lohnarbeitskräfte, Kapitaleigentümer und Konsumenten einerseits und der Sicherung von Profiten und Wachstum andererseits unzureichend und einseitig zugunsten "der Wirtschaft" und verschleierten v.a. ihre Versäumnisse bzgl. der Vorsorge für den Pandemiefall.

2. Phase

Die Strategie gegen ein neues Virus mit noch unbekannter CFR und IFR aber bald bekannter relativ hoher Infektiosität, das auf eine Bevölkerung trifft, die höchstwahrscheinlich keine oder nur partielle Hintergrundimmunität besitzt, während es keine Eingriffsmöglichkeiten durch Medikamente und/oder Impfungen gibt, muss auf nichtmedizinische Interventionen setzen.
In dieser 2. Phase fallen die Staatsstrategien gegen Corona völlig auseinander.
Einmal an der bekannten Nord-Süd-Trennungslinie kapitalistischen Reichtums entlang, die allerdings dem Süden, v.a. Afrika, im Fall der Coronapandemie nicht so zusetzt wie in vielen anderen Weltregionen, weil das Virus (bis heute) vorwiegend ältere, alte und vorerkrankte Menschen tötet und afrikanische Gesellschaften durchschnittlich sehr jung sind.
Zum anderen aber unterscheiden sich in der 2. Phase die staatlichen nichtmedizinischen Corona-Eindämmungsstrategien v.a. zwischen (südost-)asiatischen Staaten einerseits und amerikanischen und europäischen Staaten andererseits drastisch. In Asien und Ozeanien (unabhängig von der Regierungsform) dominieren vorwiegend einschneidende nichtmedizinische Maßnahmen (digitale Nachverfolgung von Infektionsketten ohne Datenschutzdiskussion, rigide und überwachte Quarantäne, Schließung der Grenzen, harte Lockdowns auch in der Produktion u.Ä.) und in Nord- wie Südamerika und besonders auch in Europa unentschlossene, wankelmütige und inkonsistente Teil-Lockdown-Politik unter weitgehender Verschonung von Industrie, Handwerk, Banken- und Versicherungswesen, aber mit (phasenweise) teils tiefen Einschnitten in das individuelle und gruppenspezifische Freizeitverhalten der Bevölkerung durch chaotische Schließungs- und Öffnungswellen der Dienstleistungs- und Kulturunternehmen und -institutionen zur Eindämmung der Kontakte außerhalb der Arbeitswelt.
In (Südost-)Asien also kurz- bis mittelfristiges allgemeines Verhindern von Infektionskontakten, in Amerika und Europa hingegen unentschlossenes Hin und Her von Kontaktreduzierung und Kontaktfreigabe durch Einschränkungen und dann wieder Lockerungen des "kompensatorischen Konsumismus" unter Inkaufnahme der massiven Schädigung v.a. aller mittelständischer Betriebe, die der Bevölkerung in deren Freizeit Konsumangebote machen (vom Frisör und Nagelstudio über Restaurants, Kinos, Theater usw. bis hin zu Prostitutionsangeboten).

3. Phase

Nachdem spätestens im September/Oktober 2020 klar war, wer den Widerspruch zwischen Gesundheitserhaltung der Bevölkerung und Profit/Wachstum "der Wirtschaft" effektiver und effizienter geregelt hatte, nämlich mit wenigen Ausnahmen (Südost-)Asien und Ozeanien, blieb den altkapitalistischen Regionen (Amerika und Europa) nichts anderes übrig, als auf die in extrem kurzer Zeit entwickelten und geprüften Impfstoffe zu setzen, um die pandemischen Probleme einigermaßen in den Griff zu bekommen, zumal es auch immer noch keine eindeutig wirksamen Medikamente gegen Corona gibt. Ob die Impfstoffe nachhaltig wirken, ist ungewiss, aber eher unwahrscheinlich. Ob das Impfen mitten in eine Infektionswelle hinein ebenso viel Mutationsdruck auf das Corona-Virus ausübt wie hohe Infektionszahlen, ist nicht geklärt, aber ziemlich wahrscheinlich. Insofern ist von einer Dauerimpfung (ob halbjährlich, einmal im Jahr oder etwas seltener) auszugehen. Dann wird sich zeigen, ob die "modernen" mRNA-Impfstoffe oder die Vektorimpfstoffe besser an die jeweiligen Mutationen angepasst werden können als die Impfstoffe gegen Grippeviren und dementsprechend wirksamer sind.

Schaut man sich an, in welchen Staaten sehr viel geimpft wird und in welchen sehr wenig, dann kann man leicht eine klare Korrelation feststellen. Je besser ein Staat/eine Gesellschaft bisher durch die Pandemie gekommen ist, umso weniger wird schnell geimpft. Je schlechter bisher die Pandemie geregelt wurde, umso mehr wird geimpft.

Ja, es gibt hier und da einen Ausreißer, aber die Tendenz ist klar. Ja, es gibt in Asien und Ozeanien in manchen Staaten eine besondere Situation (Insellage, Erfahrungen mit SARS-CoV-1, relativ junge Bevölkerung usw.), aber auch hier ist die Tendenz klar, weil nicht alle asiatischen Staaten diese günstigen Merkmale aufweisen, aber dennoch bei der Pandemiebewältigung ohne Impfung hervorragend abschneiden.

Deshalb zum Abschluss die Daten für einige ausgewählte Staaten:

Staat , verimpfte Impfdosen pro 1000 Einwohner, Covid-19-Tote pro 1 Millionen

Vietnam / 5/ 0,4
Thailand / 21/ 5
Japan / 28/ 83
Neuseeland/ 48/ 5
Südkorea / 73/ 36
Australien / 89/ 35
China / 194/ 3
Hong Kong/ 204/ 28
Brasilien / 207/1926
Schweden/ 323/1388
Frankreich/ 343/1612
Italien / 350/2016
Spanien / 366/1676
Kanada / 372/642
Deutschl. /378/1003
Großbritan./ 738/1871
USA / 746/1781
Israel /1209/ 692

Quellen:
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-impfung-daten-100.html
https://www.worldometers.info/coronavirus/

Das spricht für sich.

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