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  • Pnyx (1)

mehr als 1000 Beiträge seit 01.07.2017

Ergänzungen

Ja, wie sagt man es dem Kinde, dass es sowohl raffende Kapitalisten als auch Verschwörungen gibt, aber die Religionszugehörigkeit der Akteure bezüglich ihres einschlägigen Handelns kontingent ist? Wenn dazu eine Verifizierung der gegenteiligen Sicht doch so einfach ist und die Leute sich partout nicht an Poppers epistemologischen Erkenntnisse halten wollen und eher dem Prinzip 'Ich hab schon mal einen schwarzen Schwan gesehen und folglich sind die Schwäne alle schwarz - also zumindest die mächtigen...' folgen?

Dass der Kapitalismus wie eine Naturmacht in Erscheinung tritt, der alle ohnmächtig ausgeliefert seien, wie Marx auf den Punkt brachte, ist gewiss zutreffend, trifft das Problem aber nur halb. Es gehört zu den Eigenheiten des menschlichen Gehirns, in Unruhe zu geraten, wenn man die Ursache für eine Erscheinung oder ein Ereignis nicht kennt. Es entlastet, wenn man eine dingfest gemacht hat, auch dann, wenn sich damit an der Ohnmacht objektiv nichts ändert. Warum auch immer und - wichtiger - unabhängig davon, ob die angenommene Erklärung wirklich zutrifft.

Zwei Jahrtausende christliche Kultur liefern einen soliden Boden für die Tendenz, Menschen jüdischen Glaubens oder auch nur Herkunft als Täter zu identifizieren. Die Säkularisierung neutralisiert ihn nicht, verschleiert ihn bloss. Entscheidend für die Grösse des Bevölkerungsanteils, der solchen Vorstellungen zuneigt, ist der in der betreffenden Gesellschaft vorhandene Anteil an autoritären Charakterzügen. Da dieser in Deutschland inzwischen weit tiefer ist, als zur Zeit der Waimarer Republik, halte ich die Gefahr eines Überhandnehmens antisemitischer Stereotype für nicht allzu hoch.

Dies gilt jedoch für viele andere Gesellschaften so nicht oder allenfalls zum Teil. Dennoch würde ich den Antisemitismus heute nicht als entscheidenden Treiber reaktionärer politischer Tendenzen ansehen. Geschichte wiederholt sich nicht.

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