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  • djadmoros

mehr als 1000 Beiträge seit 08.05.2005

Erwiderung

DrFunfrock schrieb am 9. Juli 2005 1:23

> Genau, krisenhafte Zustände inkl. einer Krise des
> Selbstverständnisses finden sich auch im mittelalterlichen Europa und
> sind nicht das Privileg der Neuzeit. Wo bitte ist der Unterschied? Es
> scheint sich hier mehr um deine Wunschprojektion zu handeln, der
> deine Schlussfolgerungen stützen soll.

Krisenhafte Zustände finden sich in der Geschichte selbstverständlich
immer wieder. Daß sie ein Privileg der Neuzeit sind, habe ich nicht
behauptet.

Thema war der Antisemitismus. Dein Einwand war, ich würde übersehen,
daß der Antisemitismus älter als 200 Jahre ist, und meine Entgegnung
war, daß man zwischen Judenhaß und Antisemitismus unterscheiden
sollte, weil das eine Phänomen grob gesagt "vormodern" und das andere
"modern" ist.

Dem korrespondiert (wenn auch nicht exakt begrifflich) die
Unterscheidung von Pogromantisemitismus und
Vernichtungsantisemitismus. Letzteren hat es in der vormodernen
Vergangenheit so nicht gegeben (auch, wenn es überaus blutige Pogrome
wie z. B. das von Bogdan Chmelnizki 1648 in der Ukraine gab). Mir war
es darum zu tun, ein Merkmal spezifisch *moderner* Krisen zu betonen.

> Deine professoralen Auslassungen über Allmachtsprojektionen, ohne
> sich auch nur zur Sache auszulassen, können hochmütiger gar nicht
> sein, stellt der Beitrag doch nur eine bewusste Herabsetzung all
> derer dar, die sich kritisch mit den offiziellen Auslassung
> auseinandersetzen. Es ist ja so unwichtig, sich zur Sache
> auszulassen, dafür um so besser den anderen zum geistigen Krüppel zu
> erklären indem ihm  der Satz untergeschoben wird "als hätte man einen
> Schuldigen
> identifiziert, lebt es sich wieder etwas leichter in dieser
> komplizierten Welt." und man ihm so gleich die Mündigkeit abspricht.

"Zur Sache" habe ich immerhin soviel gesagt, daß ich durchaus der
Meinung bin, daß es Verschwörungen tatsächlich immer wieder gibt. Die
offizielle Version zu 9/11 z. B. finde ich persönlich alles andere
als überzeugend, falls es das ist, worauf Du hinaus wolltest. Aus
masalas Posting sprach m. E. aber eine Einstellung, die das Thema der
Verschwörungen noch eine Ebene höher hängt und einen Dreh abstrakter
sieht - und dieser Neigung, anstatt von konkreten Verschwörungen
pauschal von "Machthabern" hinter den Kulissen zu sprechen, denen man
gleichzeitig alles zutraut und nichts nachweisen kann, habe ich
widersprochen.

Du hältst das für "professoral" und "hochmütig", weil ich ein
psychologisches Modell verwendet habe? Nun, ich wende psychologische
Begriffe durchaus auch auf mich selbst an. So kann ich beispielsweise
mit der Lebensweise anderer "ausländischer" Kulturen durchaus nicht
immer gleich gut, sondern mit manchen besser und manchen schlechter.
Und genau da beobachte ich mich selbst und pfeife mich notfalls
selbst zurück, indem ich mir sage: "Halt! Hier nicht weiter! Hier
fängt das Ressentiment an!" Psychologie ist für mich in diesem Sinne
eine Variante des Gebrauchs der menschlichen Vernunft, und da mute
ich masala nichts zu, was ich mir nicht auch selbst zumute.

"Zivilisation" bedeutet nicht, daß man keine destruktiven oder
spinnerten Impulse hat, sondern daß man sie in irgendeiner Weise
konstruktiv verarbeitet - durch Wissenserwerb sublimiert, aus dem
Unterbewußten herausholt und im Licht des Bewußtseins verwehen läßt,
im Sport motorisch verbrennt, oder was auch immer.

Das alles hat mit "Entmündigung" nichts zu tun, und mit "geistigem
Krüppel" auch nichts. Ich habe das Weltbild eines Forenteilnehmers
unter Angabe von Gründen in Frage gestellt. masala hat in ihrem
Vorposting zu Stellungnahmen aufgefordert, und ich habe eine
geliefert. Ich bin nicht bereit, Rücksicht auf möglicherweise
verletzte Eitelkeiten zu nehmen, solange ich meine Standpunkte
begründe. Mit dieser Einstellung bin ich Leuten um Längen voraus, die
sich gegenseitig in maximal dreizeiligen Schnodderpostings vorwerfen,
nichts verstanden zu haben und anschließend als Faschisten
beschimpfen (und wenn das jetzt arrogant ist, dann stehe ich dazu).

> So ein Tonfall ist alles andere tolerant. Aus ihm spricht der Geist
> des 19. Jhd. als man meinte der gemeine Mann, könne nicht für sich
> selbst sorgen, um ihn dann für 16Std. an die Maschinen zu schicken
> und ihm das volle Wahlrecht verweigerte.

Aus diesem Tonfall spricht daher nicht mehr als eine allgemeine
Zumutung des Vernunftgebrauchs, die ich auch mir selbst abfordere.
Eigene Vernunft besitzt man nicht wie eine hübsche oder krumme Nase
(es sei denn als Potentialität), sondern man muß ständig an ihr
arbeiten. Dazu gibt es - unter anderem - Diskussionsforen.

> Der Begriff der Verschwörungstheorien und deine Interpretation als
> Allmachtsprojektion, ist gegenüber denen, die sich um den Bestand der
> Demokratie und des Humanismus fürchten, eine Beleidigung.

Nochmal: ich habe nicht behauptet, daß es so etwas wie Verschwörungen
keinesfalls gibt. Es gibt konkrete Verschwörungshypothesen, und es
gibt abstrakten Verschwörungsglauben. Meiner Meinung nach war (oder
ist) masala geradewegs auf dem Weg von ersteren zu letzterem, und
*dem* galt meine Kritik.

> Viele dieser Menschen, die für Recht und Humanismus kämpften, haben dafür
> leiden müssen.

Viele Menschen, die für Recht und Humanismus kämpften und kämpfen,
mußten und müssen unter den praktischen Folgen von
Verschwörungstheorien der zweiten Sorte leiden.

> Leider ist damit noch nicht Schluss. Wer diesen
> Einsatz einfach als psychologischen Kurzschluss deklariert, der hat
> wahrscheinlich selbst einen.

Der Vorwurf des "Kurzschlusses" betrifft auch hier besagte zweite
Ebene von Verschwörungstheorien.

Gruß

djadmoros

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