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  • djadmoros

mehr als 1000 Beiträge seit 08.05.2005

Warum Verschwörungstheorien nichts taugen

Na schön, ich versuche mal, mich zusammenzureißen und eine Erwiderung
zu formulieren, ohne dabei allzu garstig zu werden.

masara schrieb am 8. Juli 2005 19:24

> gegen wen wird dieser terror eigentlich geführt? sind die urheber
> wirklich die islamisten? oder wird dieser terror von machthabern
> unserer eigenen "demokratie" gegen das eigene volk in auftrag
> gegeben? ist dieser terror nicht instrument, um die demokratie
> abzuschaffen und sie gegen eine diktatur (die wir ja schon lange
> haben) zu ersetzen? kann es nicht sein, daß durch solche anschläge
> das volk ermuntert werden soll nach mehr sicherheit zu schreien,
> selbst mit der aufgabe ihrer eigenen persönlichen freiheit, für die
> die menschen jahrzehnte gekämpft haben? und dies alles, damit die
> reichen reicher und die armen ärmer werden? eine spaltung in zwei
> lager: den wenigen wohlhabenden edelrassen und der größte teil der
> weltbefölkerung als sklaven dieser edelrassen? könnte es nicht alles
> so sein?

Gegenfrage: warum sollte man so etwas annehmen? Es ist in der
Geschichte immer wieder vorgekommen, daß Menschen, wenn sie durch
bedrohliche Ereignisse und Entwicklungen verunsichert und verängstigt
waren, für diese Ereignisse Verschwörungen verantwortlich gemacht
haben. Krankheiten, Krieg, Hungersnot, Teuerung, Unglücksfälle - alle
diese bedrohlichen Vorgänge bekommen ein Gesicht, wenn man sie
konkreten Personen oder Gruppen zuschreibt. Mittelalterliche
Judenpogrome ebenso wie Hexenverbrennungen beruhen auf
Verschwörungsglauben. Als die Protagonisten des Ancien Régime in
Frankreich nicht verstehen konnten, warum sie durch die Französische
Revolution hinweggespült wurden, haben sie die Theorie von der
Freimaurerverschwörung eingeführt, um diese Revolution zu erklären -
ganz so, als wäre es nur das Handeln einer kleinen Clique und nicht
ein über ein halbes Jahrhundert in der gesamten französischen
Gesellschaft angestaute soziale und institutionelle Problemdruck
gewesen, der der Revolution zum Erfolg verholfen hat. Als sich der
Kapitalismus und die industrielle Revolution in der westlichen Welt
durchzusetzen begann und die alte Welt der Traditionen ins Rutschen
geriet, wurden für viele Menschen die Juden zum Sinnbild dieser als
bedrohlich empfundenen Veränderungen, weil diese durch die
Judenemanzipation schlagartig zu gesellschaftlichen Bereichen Zutritt
erhielten, die ihnen zuvor verwehrt gewesen waren. Aber in allen
diesen Fällen läuft es darauf hinaus, daß abstrakte Prozesse weniger
bedrohlich wirken, wenn man ihnen ein Gesicht verleiht - auch, wenn
man dieses Gesicht erfinden muß. Der Kapitalismus ist ein
gesellschaftliches Regelwerk, das sich in hohem Maße auf abstrakte
Koordinationsprozesse verläßt und stets unter dem Risiko steht,
Entwicklungen loszutreten, die in der Form, in der sie ablaufen,
nicht vorhergesehen wurden. Seit der Entstehung des modernen
Kapitalismus lief dessen Dynamik stets so ab, daß eine krisenhafte
Entwicklung nach einer bestimmten Zeit von einer Weiterentwicklung
der gesellschaftlichen Institutionen aufgefangen und gebändigt wurde.
Im aktuellen Fall der so genannten "Globalisierung" ist die
institutionelle Form noch nicht gefunden, die diese Krise bändigen
könnte. Und deswegen nimmt es auch nicht wunder, daß
verschwörungstheoretisches Denken wieder Hochkonjunktur hat. Diese
Art zu denken beruht aber auf einem psychologischen Kurzschluß: weil
eine zunehmende Zahl von Menschen sich angesichts solcher
Entwicklungen ohnmächtig fühlt, kommt es zur Projektion eines
Gegenbildes, in dem eine Instanz unterstellt wird, die die
krisenhaften Prozesse aus einer Position der Allmacht heraus bewußt
steuert. Diese Allmachtsprojektion auf imaginäre Gegner ist der Kern
jedes Verschwörungsglaubens.

> man sollte nicht zu sehr ins detail gehen, sondern mal einen
> globalen blick auf das ganze geschehen auf dieser welt wagen. durch
> die terroranschläge wird in der bevölkerung wut und verzweiflung
> erzeugt, die nach sicherheit durch die machthaber verlangen, die
> diese auch promt durchsetzen wollen. selbst berlin wollte man im zuge
> der in london passierten ereignisse zur sicherheitshochburg ausbauen.

Und in dieser Logik werden dann die unvorhergesehenen Folgen einer
Entwicklung zu gezielt geplanten Absichten erklärt. Natürlich gibt es
in der realen Geschichte immer wieder Verschwörungen, und es trifft
auch zu, daß "Machthaber" aller Art ein gewissermaßen natürliches
Interesse daran haben, den Bereich dessen, was sie zu kontrollieren
vermögen, ausweiten möchten. Aber die Möglichkeiten, über die sie
dabei verfügen, wird von Verschwörungstheorien üblicherweise
dramatisch überschätzt.

> eine sache ist natürlich schlimm. daß unschuldige menschen für die
> umsetzung dieser ziele der mächtigen geopfert werden ist niemals
> wieder gut zu machen. wir sollten dieser menschen gedenken und uns
> darüber im klaren werden, daß dieses "spiel", was in wirklichkeit ein
> krieg zwischen den menschen und den machthabern darstellt, ein ende
> haben muß.

"Die Menschen" und "die Machthaber": das ist in weiteres Merkmal von
Verschwörungstheorien - das manichäische Denken. Je größer das
Bedrohungs- oder Verunsicherungsgefühl, desto ungeheuerlicher werden
die Taten der vermeintlichen Verschwörer vorgestellt. Am Ende steht
dann der Glauben an eine monströse Bösartigkeit einer
weltbeherrschenden Clique, der im Gegenzug alle Mittel heiligt, durch
die sie bekämpft werden können. Das tragische an diesen Theorien ist,
daß sie bereits Teil der Krise sind, mit der wir heute konfrontiert
sind. Speziell der Glaube an die jüdische Weltverschwörung feiert
wieder fröhliche Urständ´- und im arabischen Raum war er seit der
Nazizeit eigentlich niemals ausgestorben. Die schon seit den 30er
Jahren minutiös als Fälschung dokumentierten "Protokolle der Weisen
von Zion" werden dort heute noch als schlagender Beweis für die
Bösartigkeit des Judentums herumgereicht. Was nicht heißen soll, das
radikale Islamisten sie einzigen wären, die solche Theorien pflegen.

> natürlich können wir dieses nicht mit gleichen mitteln
> vergelten, aber durch boykotte der weltfirmen, hinter denen die
> machthaber ja sitzen. vielleicht mal auf markenartikel verzichten und
> die regionalen dinge in den vordergrund ziehen. möglichkeiten gibt es
> viele, aber jeder sollte sich auch selbst mal gedanken machen, wie er
> zum schutz aller beitragen kann. den machthabern muß die grundlage
> ihrer existenz entzogen werden.

"Weltfirmen, hinter denen die Machthaber sitzen": genau diese Art zu
denken ist Teil des Problems, von dem ich rede. Eine komplexe
Entwicklung wie die "Globalisierung" (die nicht nur eine ökonomische
Komponente hat, sondern z. B. auch eine kulturelle, etwa in der
Konfrontation der westlichen und der islamischen Welt, die sich nicht
in der Dialektik von Kolonialismus und Antikolonialismus erschöpft)
wird auf eine scheinbar einfache Konstellation zurückgeführt. Und
weil es dann so aussieht, als hätte man einen Schuldigen
identifiziert, lebt es sich wieder etwas leichter in dieser
komplizierten Welt.

> bevor sich jetzt wieder jemand über den text hermacht und ihn
> zerpflückt sollte er doch einfach mal andere vorschläge machen. mit
> verschwörungstheorien hat das auch nichts zu tun, sondern mit einer
> anderen sichtweise auf die dinge, wie die meisten sie tun.

Diese "andere Sichtweise" auf die Dinge erfüllt meiner Ansicht nach
aber exakt die Kriterien für eine Verschwörungstheorie - genauer, für
eine Theorie, die Verschwörungen zum Prinzip der Weltgeschichte
erklären, anstatt sie als das zu erkennen, was sie sind: nämlich
Episoden, die zwar für sich genommen eine Herausforderung jedes
Anspruches auf Demokratie sind, weil sie das Prinzip der öffentlichen
Kontrolle unterlaufen, aber deshalb noch lange nicht als Beweis für
eine geheime Weltherrschaft einer satanisch bösartigen Clique
herhalten können.

Mir scheint, ich könnte glatt ein Buch über das Thema schreiben, aber
es würde wohl ebenso wenig gelesen wie andere kluge Bücher, die es
längst gibt. Statt dessen besaufen sich die Leute an selbstgebranntem
Fusel wie dem von Jan Udo Holey und Armin Risi.

Mit freundlichen Grüßen

djadmoros

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