Zweckpessimist schrieb am 9. Juli 2005 8:21
> Deine Argumentation hat einen kleinen Schönheitsfehler. Es gab in der
> Geschichte schon oft belegte Fälle, in denen staatliche Stellen
> Anschläge selbst verübt haben, um das politische Klima zu
> beeinflussen. Man muss dafür gar nicht so weit zurückschauen, und
> auch heute aktive Gruppen - allen voran CIA und Mossad - haben
> derartige Aktivitäten in ihrem Curriculum Vitae.
Das habe ich in meinem Posting grundsätzlich auch zugestanden. Es
gibt konkrete Verschwörungs*hypothesen* (ich spreche von Hypothesen,
weil die tatsächliche *Beweis*lage i.d.R. in hohem Maße umstritten,
aber die Hypothese selbst auch nicht völlig abwegig ist) und es gibt
abstrakten Verschwörungs*glauben*. Letzterer ist unter anderem dafür
berüchtigt, daß er das Nichtvorhandensein von Beweisen zum Beweis
macht. Wie in dem Witz: "Hast Du schon mal Elefanten im Kirschbaum
gesehen? Nein? Da siehst Du mal, wie gut sie sich verstecken!".
> Damit ist eine Argumentation, dass die Entwicklungen der letzten
> Jahre halt diffuse Prozesse seien, für die niemand verantwortlich
> sei, entweder naiv oder strategisch. Dann noch die Jüdische
> Weltverschwörung als Nebelkerze in den Raum zu werfen, verbessert die
> Argumentation auch nicht gerade.
Natürlich gibt es Akteure, die für bestimmte Aspekte der
eingetretenen Entwicklung verantwortlich sind, wie etwa die
Gepflogenheiten im Bankenwesen für die internationale Schuldenkrise
seit den 80er Jahren, oder wirtschaftliche Lobbyisten bei der
Einführung des Euros, oder die Kooperation westlichen Großkapitals
und russischer Nomenklatura bei der Plünderung der russischen
Statsbetriebe nach 1991 usw. usf. Aber zwischen den Handlungen
verantwortlicher Akteure und dem Bündel an Handlungsfolgen, das als
Konsequenz solchen Handelns aufgetreten ist, liegen *deshalb* anonyme
Prozesse, weil der Kapitalismus eine Organisationsform ist, die
solche anonymen Prozesse zum Prinzip erhebt.
Nach dem prägnanten Spruch Mandevilles "Privat vices - public
benefits": der Kapitalismus verwandelt private Laster (Ebene der
Handlungen) in öffentlichen Nutzen (Ebene der Handlungsfolgen). Das
ideologische Element an solchen Lehren liegt darin, daß die anonyme
Aggregation von "privaten Lastern" in Wirklichkeit eben keineswegs
immer und keinerswegs verläßlich zu "öffentlichem Nutzen" führt -
nicht aber darin, daß es eine solche Ebene anonymer
Vermittlungsprozesse nicht gäbe.
Und genau hier setzt jene Sorte von Verschwörungstheorien an, die
hier Gegenstand meines Widerspruchs sind - sie unterstellen, daß es
anstatt solcher anonymer Prozesse in Wirklichkeit einen geheimen
Masterplan einer geheimen Clique gibt. Und genau darin liegt ein
Versagen einer Vernunft, welche sich unanschaulichen analytischen
Abstraktionen verweigert und stattdessen lieber greifbare Sündenböcke
sucht.
> Vielleicht schaust Du Dir mal an, was man inzwischen zu den
> Anschlägen von Madrid zusammengetragen hat an Belegen für die
> Kooperation von Geheimdienst und "Terroristen".
Das kann so sein oder auch nicht - an dieser Stelle möchte ich
erstmal nur hinreichend klarstellen, daß für mich (es sei wiederholt
und wiederholt) konkrete Verschwörungshypothesen und abstrakter
Verschwörungsglaube unterschiedliche Ebenen sind. Wenn die erste
Ebene noch analytisch sein *kann*, sofern sorgfältig gearbeitet wird,
so ist die zweite Ebene nur noch mythisch.
> Und wenn die offizielle Verschwörungstheorie lächerlicher ist als so
> ziemlich alles, was zu dem Thema im Netz kursiert, wie im Fall 9-11,
> dann funktioniert der Label VT gar nicht mehr, um die "Spinner" zum
> Schweigen zu bringen.
Ja, es gibt auch eine hysterische Art, Verschwörungshypothesen der
ersten Ebene abzumeiern. Und da zähle ich mich durchaus zu
denjenigen, die den "SPIEGEL" lieber bei seinem Schandnamen (wer hat
den eigentlich zum ersten Mal verliehen?) "Schpigl" nennen, weil er
ihrer (und in diesem Fall auch meiner) Ansicht nach seine
journalistische Sorgfaltspflicht bei der Recherche zum elften
September eklatant verletzt hat.
Gruß
djadmoros
> Deine Argumentation hat einen kleinen Schönheitsfehler. Es gab in der
> Geschichte schon oft belegte Fälle, in denen staatliche Stellen
> Anschläge selbst verübt haben, um das politische Klima zu
> beeinflussen. Man muss dafür gar nicht so weit zurückschauen, und
> auch heute aktive Gruppen - allen voran CIA und Mossad - haben
> derartige Aktivitäten in ihrem Curriculum Vitae.
Das habe ich in meinem Posting grundsätzlich auch zugestanden. Es
gibt konkrete Verschwörungs*hypothesen* (ich spreche von Hypothesen,
weil die tatsächliche *Beweis*lage i.d.R. in hohem Maße umstritten,
aber die Hypothese selbst auch nicht völlig abwegig ist) und es gibt
abstrakten Verschwörungs*glauben*. Letzterer ist unter anderem dafür
berüchtigt, daß er das Nichtvorhandensein von Beweisen zum Beweis
macht. Wie in dem Witz: "Hast Du schon mal Elefanten im Kirschbaum
gesehen? Nein? Da siehst Du mal, wie gut sie sich verstecken!".
> Damit ist eine Argumentation, dass die Entwicklungen der letzten
> Jahre halt diffuse Prozesse seien, für die niemand verantwortlich
> sei, entweder naiv oder strategisch. Dann noch die Jüdische
> Weltverschwörung als Nebelkerze in den Raum zu werfen, verbessert die
> Argumentation auch nicht gerade.
Natürlich gibt es Akteure, die für bestimmte Aspekte der
eingetretenen Entwicklung verantwortlich sind, wie etwa die
Gepflogenheiten im Bankenwesen für die internationale Schuldenkrise
seit den 80er Jahren, oder wirtschaftliche Lobbyisten bei der
Einführung des Euros, oder die Kooperation westlichen Großkapitals
und russischer Nomenklatura bei der Plünderung der russischen
Statsbetriebe nach 1991 usw. usf. Aber zwischen den Handlungen
verantwortlicher Akteure und dem Bündel an Handlungsfolgen, das als
Konsequenz solchen Handelns aufgetreten ist, liegen *deshalb* anonyme
Prozesse, weil der Kapitalismus eine Organisationsform ist, die
solche anonymen Prozesse zum Prinzip erhebt.
Nach dem prägnanten Spruch Mandevilles "Privat vices - public
benefits": der Kapitalismus verwandelt private Laster (Ebene der
Handlungen) in öffentlichen Nutzen (Ebene der Handlungsfolgen). Das
ideologische Element an solchen Lehren liegt darin, daß die anonyme
Aggregation von "privaten Lastern" in Wirklichkeit eben keineswegs
immer und keinerswegs verläßlich zu "öffentlichem Nutzen" führt -
nicht aber darin, daß es eine solche Ebene anonymer
Vermittlungsprozesse nicht gäbe.
Und genau hier setzt jene Sorte von Verschwörungstheorien an, die
hier Gegenstand meines Widerspruchs sind - sie unterstellen, daß es
anstatt solcher anonymer Prozesse in Wirklichkeit einen geheimen
Masterplan einer geheimen Clique gibt. Und genau darin liegt ein
Versagen einer Vernunft, welche sich unanschaulichen analytischen
Abstraktionen verweigert und stattdessen lieber greifbare Sündenböcke
sucht.
> Vielleicht schaust Du Dir mal an, was man inzwischen zu den
> Anschlägen von Madrid zusammengetragen hat an Belegen für die
> Kooperation von Geheimdienst und "Terroristen".
Das kann so sein oder auch nicht - an dieser Stelle möchte ich
erstmal nur hinreichend klarstellen, daß für mich (es sei wiederholt
und wiederholt) konkrete Verschwörungshypothesen und abstrakter
Verschwörungsglaube unterschiedliche Ebenen sind. Wenn die erste
Ebene noch analytisch sein *kann*, sofern sorgfältig gearbeitet wird,
so ist die zweite Ebene nur noch mythisch.
> Und wenn die offizielle Verschwörungstheorie lächerlicher ist als so
> ziemlich alles, was zu dem Thema im Netz kursiert, wie im Fall 9-11,
> dann funktioniert der Label VT gar nicht mehr, um die "Spinner" zum
> Schweigen zu bringen.
Ja, es gibt auch eine hysterische Art, Verschwörungshypothesen der
ersten Ebene abzumeiern. Und da zähle ich mich durchaus zu
denjenigen, die den "SPIEGEL" lieber bei seinem Schandnamen (wer hat
den eigentlich zum ersten Mal verliehen?) "Schpigl" nennen, weil er
ihrer (und in diesem Fall auch meiner) Ansicht nach seine
journalistische Sorgfaltspflicht bei der Recherche zum elften
September eklatant verletzt hat.
Gruß
djadmoros