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  • Twister

mehr als 1000 Beiträge seit 27.11.2000

Come in and enjoy the countryside

Er lächelte und legte den Kopf in den Nacken. "Come in and enjoy the
countryside", das waren genau die Worte, die ihm einfielen, wenn er
an dieses Land hier dachte. Viele dachten mittlerweile ganz anders
von der Vereinigten Staaten, viele dachten, es sei ein Staat auf dem
Weg zur Diktatur, fremdenfeindlich, von Überwachung und Paranoia
heimgesucht, von einem "Club von geld- und machtgierigen Menschen"
geleitet. Doch er wusste es besser. Seit er den amerikanischen Boden
betreten hatte, hatte sich der Spruch der Tourismusindustrie "Come in
and enjoy the countryside" für ihn bewahrheitet. Er fühlte sich
wirklich wohl hier, völlig angenommen, respektiert, glücklich.

Er dachte daran, wie man ihn, kurz nachdem er von seinem Besuch bei
seinen Eltern, am Flughafen willkommen geheißen hatte. Wie man ihm
freundlich geholfen hatte, ein Taxi zu finden, wie man ihn behandelt
hatte wie einen V.I.P. Viele wussten einfach nicht, wie es in Amerika
wirklich war, viele nahmen das, was in den Zeitungen, in den
Schmierblättern, geschrieben wurde, einfach für bare Münze. Doch er
wusste es besser.

"Völlig weggetreten." meinte einer der Männer verächtlich und wedelte
mit der Hand vor dem Gesicht des Mannes herum, dessen Augen weit
aufgerissen, die Lider mit kleinen Spangen nach oben gehalten, so
dass es wie eine Szene aus Clockwork Orange aussah, in das grelle
Licht blickten. "Der kriegt nichts mehr mit."

Der Mann neben ihm hob die Hand und schlug zu. Ein paar Schläge
reichten und sie hatten wieder die Aufmerksamkeit des Mannes, der
ihnen suspekt vorgekommen war. Immerhin, er war irgendwie
fremdländisch, er benahm sich anders als jemand aus dem Land und
überhaupt. Er war eben einfach gefährlich. Jedenfalls sah er so aus.
Schon wie er sie anstarrte.

Er lächelte noch immer und während er leise vor sich hinsummte, kam
im Radio eine Meldung über ein Attentat, das ein weißer, sehr frommer
Mensch verübt hatte. Es war grausam, es war furchtbar, es war eine
Katastrophe, aber die beiden Männer drehten nur die Lampe noch etwas
näher an das Gesicht des Anderen und lächelten dabei. Bald würde er
ihnen sagen, was sie wissen wollten. Was geschehen war, war schlimm,
aber es hatte nichts mit Terrorismus zu tun, nichts mit irgendwelchen
Fanatikern - eine bedauerliche Einzeltat eines gestörten Menschen,
mehr nicht. Und als sie den Mann mit den aufgerissenen Augen vom
Stuhl hoch zerrten, da dachten sie schon fast nicht mehr an das
Attentat. Sie dachten nur an diesen gefährlichen Typen, der trotz
tagelanger  Verhöre immernoch nichts sagen wollte. Sturer Bock!
Eindeutiges Zeichen dafür, wie gedrillt diese Leute waren! Die waren
knallhart!

Angewidert bemerkten sie, dass er sogar Boxershorts mit der
amerikanischen Flagge trug und sie hörten ihn murmeln: "Come in and
enjoy the countryside." Und er lächelte noch mehr als er sang: "And
the home of the brave..."
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