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  • laetschenbeni

1 Beitrag seit 02.05.2020

Die zentrale Prämisse des Artikels ist fehlerhaft

Zunächst möchte ich sagen, dass ich davon ausgehe, dass Professor Kuhbandner aus tatsächlicher Sorge um die psychologischen Folgen der Krise gehandelt und die Zahlen nach bestem Wissen und Gewissen analysiert hat.

Dennoch bin ich mittlerweile überzeugt davon, dass seine zentrale These, auf der er die "Korrektur um die Testanzahl" stützt, nicht korrekt ist:
Er behauptet in seinem ersten Artikel, dass es "...laut mehreren Studien..." eine hohe Dunkelziffer an nicht entdeckten Infektionen gibt. Abgesehen davon, dass er diese Studien leider nicht als Quellen benennt, liegt hier das Problem: denn nur wenn die Dunkelziffer tatsächlich sehr hoch ist, verändert eine Ausweitung der Testanzahl die Verteilung nicht. Wenn die Dunkelziffer aber eben nicht besonders hoch ist, dann findet man nur allein durch die Ausweitung der Testanzahl eben nicht signifikant mehr Infektionen, sondern nur dann, wenn es auch tatsächlich mehr Infektionen gibt.
Dafür, dass die Dunkelziffer in Deutschland im betreffenden Zeitraum nicht sonderlich hoch war, sprechen mehrere Dinge:
- Absolute Zahlen I: in KW 10 wurden bei mehreren 10.000 Tests (genaue Zahlen erst ab KW11 bekannt) nur ca. 500 Neuinfektionen gefunden. Natürlich lässt sich dadurch nichts beweisen, das Vorhandensein einer Dunkelziffer erscheint mir bei einem Verhältnis von 1:100 von Funden zu Testungen zumindest nicht ohne weitere Belege schlüssig zu sein.
- Absolute Zahlen II: im Gegensatz zu Ländern wie z.B. Italien oder Spanien, die gleich zu Beginn der detektierten Fälle bereits eine sehr hohe Fallsterblichkeit von z.T. über 10% aufwiesen, war die Fallsterblichkeit im diskutierten Zeitraum (KW10-15) mit deutlich unter 1% sehr gering. Dies spricht ebenfalls GEGEN eine hohe Dunkelziffer, denn wäre diese hoch gewesen, wären auch deutlich mehr Todesfälle zu erwarten gewesen - wie es sie eben in anderen Ländern, die deutlich weniger als Deutschland getestet haben, auch gegeben hat.
- Experteneinschätzung: genau zu dieser Frage hat Drosten in seinem Podcast vom 9. oder 10.03. auch die Aussage gemacht, dass er davon ausgehe, dass in Deutschland tatsächlich die meisten bestehenden Infektionen auch gefunden werden. Ich bringe das, auch wenn mir bewusst istdass viele der Zweifler auf diese Meinung wenig geben.

Wenn aber die These der hohen Dunkelziffer nicht stimmt, fällt auch die darauf aufbauende Argumentation in sich zusammen. Um beim Eierbeispiel zu bleiben:
Wenn im Garten zehn Eier liegen und ich eigentlich eher eine Stunde zum Suchen habe, dann finde ich eben praktisch alle Eier, bis auf das eine, das wirklich total fies versteckt wurde. Und wenn ich dann zwei Stunden suchen darf, finde ich vielleicht maximal noch dieses eine Ei - ES SEI DENN, es sind tatsächlich auch neue Eier dazu gekommen. Und genau diesen Fall hatten wir Anfang März in Deutschland.

Ich will hier nicht sagen, dass es keine Überschätzung des Wachstums der tatsächlichen Fallzahlen gab - diese räumt ja auch das RKI ein. Ich bin mir nur ziemlich sicher, dass sie nicht annähernd so groß war, wie Kuhbandner behauptet.

Für einige weitere fragwürdige Inhalte des Artikels reicht der Platz hier leider nicht mehr.
Leider erweist Kuhbandner seinem berechtigten Anliegen nach der Berücksichtigung auch der psychologischen Folgen der Maßnahmen durch seine zwar vordergründig einleuchtenden, aber von seinen Annahmen leider nicht ausreichend belegbaren und m.E. in ihrer Unsicherheit zu wenig beleuchteten Behauptungen einen Bärendienst.

Der implizite Vorwurf an praktisch alle öffentlichen Stellen der westlichen Länder, sie könnten alle nicht rechnen, ist so gewagt, dass ich da eine deutlich fundiertere Analyse erwartet hätte.

Aber ich kann mich ja auch täuschen...

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