Herr Reiser irrt sich, wenn er denkt, dass mehr Waffenlieferungen an die Ukraine dieser den Sieg gebracht hätten. Man muss sich die Möglichkeiten zur weiteren Eskalation, die Russland bleiben, mal vor Augen halten: Da wäre erstens die Massenmobilisierung in die Armee, um die bisherige Mannstärke nochmal deutlich zu erhöhen. Zweitens der Einsatz von bislang zurückgehaltenen Waffen aus dem Arsenal, einschließlich Nuklearwaffen. Drittens der völlige Umstieg auf Kriegswirtschaft und damit einhergehend eine weitere Produktionssteigerung. Russland schöpft sein Eskalationspotenzial bislang bei Weitem nicht aus.
Das Hauptproblem der Ukraine werden am Ende auch nicht die fehlenden Waffen sein, sondern die fehlenden Männer. Russland hat einfach eine sehr viel größere Bevölkerung, während die Ukraine sich durch eine andauernde Offensive selbst schwächt. Für eine erfolgreiche Offensive bräuchte die Ukraine bei gleichwertiger technischer Ausstattung etwa dreimal so viele Soldaten wie die Russen. Dieses Verhältnis 3:1 ist eigentlich ein uralter militärischer Grundsatz, wird aber von unseren Politikern im Westen offenbar nicht verstanden. Und eine signifikant bessere Ausrüstung wird die Ukraine auch durch westliche Lieferungen nicht erreichen können, denn Russland war vor dem Krieg immerhin zweitgrößter Waffenexporteur nach den USA. Diese wiederum können nicht ihr ganzes Waffenarsenal in der Ukraine verschleudern, da sie sich parallel auf eine Auseinandersetzung mit China vorbereiten.
Militärisch klug wäre es daher aus ukrainischer Sicht eher, in die Defensive zu gehen und nur kleinere Nadelstiche zu setzen, um die Russen in eine potentiell verlustreiche Offensive zu zwingen. Stattdessen schickt man eine Welle Soldaten nach der anderen, ohne entscheidend voranzukommen. Durch diese Vorgehensweise reduziert man ohne Not die eigene Mannstärke und schwächt daher die eigenen Möglichkeiten, einer späteren russischen Offensive etwas entgegenzusetzen.
Übrigens: Wenn auch nicht in der Dimension, aber doch in der Art des Krieges ist dieser Krieg in der Ukraine durchaus mit dem Ersten Weltkrieg zu vergleichen. Auch damals gab es einen Stellungskrieg, die Front verlief mitten durch Frankreich - dennoch hat Deutschland am Ende verloren. Der Grund für die Niederlage: Die Alliierten verfügten über mehr Soldaten und irgendwann sind den Deutschen schlicht die Männer ausgegangen, um weiterhin die Frontlinie halten zu können. Die Ukraine ist heute in einer ganz ähnlichen Situation - und dieses Problem lässt sich nur durch einen möglichen Kriegseintritt der NATO aus der Welt schaffen. Dann allerdings befinden wir uns im Dritten Weltkrieg.