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  • djadmoros

mehr als 1000 Beiträge seit 08.05.2005

Gesinnungsethische Reflexhandlungen genügen nicht

BasisDemokrat schrieb am 13. November 2005 13:37

> Dieser Artikel ist ein abstoßendes Machwerk, weil er Pazifisten die
> Schuld an der Zunahme des Terrorismus zuschieben will und weil er
> darüber hinaus jede nur erdenkliche Propaganda der gleichgeschalteten
> Medien zum Thema Terrorismus unreflektiert übernimmt.

Auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen, will ich Maresch mal
gutwillig lesen.

Zugegeben, die Bezeichnung von Pazifismus als "neuromantisch" ist
gehässig. Aber Maresch versucht im Kern nicht mehr als eine
Situationsbestimmung: "Auf die Moralisierung des Krieges, die
Neutralisierung von Krieg und Frieden und den Ruf: "Alle Schwerter zu
Pflugscharen" ist der "irreguläre Krieg" gefolgt." Zwischen beiden
Sachverhalten wird kein Verursachungsverhältnis, sondern nur ein
Abfolge unterstellt. Mareschs Aussage kann man auch einfach so lesen,
daß sich die Absicht, die genannten Prinzipien einer Ächtung des
Krieges zu handlungsleitenden Maximen der Politik zu konkretisieren,
vor andere Bedingungen als bisher gestellt sieht.

Zu diesen Bedingungen gehört, daß eine auf ordentlichen,
zwischenstaatlichen Beziehungen beruhende Konstellation
internationaler Politik, wie sie zur klassischen Theorie gehört,
zusehends unterlaufen wird. Einerseits natürlich, indem offene
staatliche Interventionen durch geheimdienstliche Operationen (wie
etwa die Unterstützung der afghanischen Mudschahedin oder der
nicaraguanischen Contras durch die USA) ersetzt wird. Das wird -
völlig zu Recht - nicht zuletzt auf Telepolis auch immer wieder zum
Gegenstand der Kritik.

Auf der anderen Seite - und darin sehe ich immerhin eine analytische
Leistung von Mareschs Artikel - wird der in nationale kulturelle
Kontexte eingebettete Guerilla oder Partisan zusehends durch
terroristische "Reisekader" ersetzt, die aufgrund ihrer abstrakt
apokalyptischen Weltsicht in nahezu beliebigen Kontexten weltweit
einsatzfähig sind, sofern es nur gegen den imaginierten Weltfeind
geht. Gegen diesen Typus ist eine "sozialpolitische" Einhegung von
Konfliktherden, so notwendig diese für sich genommen sein mag, ohne
Wirkung. Damit kommen wir zum nächsten Punkt:

> Man liest nicht ein Wort davon, daß der vorgeblich islamistisch
> geprägte Terror eigentlich eine Reaktion auf den Bombenterror in
> Palästina, Afghanistan, Irak und Tschetschenien ist, wo reguläre
> westliche Armeen wie Terroristen ohne Schonung der Zivilbevölkerung
> ihre militärischen Ziele verfolgt haben.

Nämlich zum Unterschied zwischen dem terroristischen Umfeld und den
terroristischen Kadern. Am Bestehen vieler Konfliktkonstellationen
mit terroristischer Komponente sind die Hegemonialmächte unseres
Planeten mitschuldig. Aber für eine Bestimmung des Gesamtbildes fehlt
dabei noch etwas, was eine sinnvolle Kritik von einer
antiimperialistischen Ideologie unterscheidet. Zitat Maresch: "Die
derart versklavten, vergewaltigten, vertriebenen oder in Geiselhaft
genommenen Zivilisten können gegen das Regime, das Warlords und
marodierende Banden im Nordkaukasus, am Horn von Afrika oder in
Westafrika aufbauen ebenso wenig ausrichten wie gegen fanatisierte
Selbstmord- oder Autobomber, die sich in einem Hotelkomplex, in einem
Straßencafé oder vor einer Polizeistation in die Luft sprengen ..."

Genau das ist die Kehrseite der Medaille. Einen berufsrevolutionären
Kader interessiert Leben und Schicksal der Gruppe, in deren Namen er
auftritt, nur noch unter instrumentellem Aspekt. Wer nicht
kollaboriert, wird als Verräter umgebracht. Im Irak werden ja nicht
nur US-Soldaten in die Luft gesprengt, sondern hierzu qualifiziert
sich im Prinzip jeder, der den Radikalismus der "Widerständler" nicht
mitzumachen bereit ist. Die Fernziele dieses "Widerstands" sind in
überhaupt keiner Weise mehr konkret, sondern er definiert sie - wie
sich selbst - aus einer Gegnerschaft gegen einen apokalyptischen
Weltfeind, gegen Satan persönlich. Wer da irgendeine Art von
mittlerem Weg verfolgen wollte, gehört schon zu den Bösen.

> Für Herrn Maresch ist der Terror eine direkte Folge des Laissez Faire
> von Pazifisten in der Politik, die mit ihrem "unbedingten Willen zum
> Frieden" den Terror erst möglich machen. Diese Art von
> Kriegspropaganda hätte ich eher im SPON erwartet, aber nicht bei
> Telepolis.

Maresch sagt meines Erachtens nicht mehr als daß einer abstrakten
Proklamation pazifistischer Werte der Adressat verloren geht. Ein
sich als zivilisiert verstehender Staat steht nach Verdun, Katyn und
Babij Jar ganz anders unter dem Legitimationsdruck entsprechender
Prinzipien als eine Truppe endzeitlich gestimmter Desperados, die
sich bereits mit einem Fuß im Paradies wähnen. Gegen einen
ausdrücklichen proklamierten Willen zum Krieg und zum Tod sind diese
Prinzipien kraftlos. Das legitimiert die Vorgehensweise
amerikanischer "Neocons" noch lange nicht, zumal diese sich selbst
dem Verdacht aussetzen, von fundementalistischem Denken nicht frei zu
sein, aber warum Carl Schmitt und Samuel Huntington Unrecht haben
sollten, ist neu begründungsbedürftig und nicht auf dem Boden der
eigenen reinen Gesinnung einfach vorauszusetzen.

> Besonderen Brechreiz haben mir die letzten beiden Absätze verursacht:

Nimm Bullrichsalz. Mich interessieren Deine Gegenargumente, nicht der
Grad der Empfindlichkeit Deines Magens.

> Nicht der Pazifismus gebiert den Terrorismus, Herr Maresch, sondern
> die Bombenteppiche von Nationen, die mit militärischen Mitteln
> ökonomische Interessen in fremden Ländern durchsetzen.

Leider sind die Gegenargumente etwas simpel gestrickt. Nach obigen
Ausführungen dürfte auch klar sein, warum ich dieser Ansicht bin.

> Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Telepolis-Redaktion bitten,
> nicht nur das Filtern von Foren-Teinehmern, sondern auch das Filtern
> von Autoren möglich zu machen. Kriegspropaganda möchte ich hier nicht
> lesen, davon gibt es schon genug in den anderen Medien.

Wär´ ja noch schöner. Geh´ das Forum wechseln. Zensuraufrufe gibt es
auch schon genug in anderen Medien, davon möchte ich hier nichts
lesen.

Selbstverständlich ist Mareschs Artikel ein Provokationsversuch. Er
übt sich, darin stimme ich Dir und den anderen Kritikern Mareschs in
diesem Forum zu, in einer Diktion, die in der Jungen Freiheit nicht
fehl am Platz wäre. Aber wer hier nur aus dem antiimperialistischen
oder antifaschistischen Gesinnungsreflex reagiert, geht ihm auf den
Leim. Fazit: Lieber BasisDemokrat, dein Posting ist ein schöner Beleg
dafür, daß Mareschs Provokation erfolgreich war: am lautesten
schreien die, die sich getroffen fühlen, und solange sie nur
schreien, produzieren sie keine brauchbaren Argumente.

> Schönen Tag wünscht
> BasisDemokrat

Einen schönen Abend wünscht

djadmoros

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