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Antworten? Fragen

Zetscho schrieb am 13. November 2005 16:14

> und diese dann abstellen.

> Was macht Menschen zu Terroristen? Welche gesellschaftlichen,
> wirtschaftlichen und politischen Begebenheiten begünstigen die
> Entstehung von Terrorismus? Welche Fehler wurden bislang gemacht, wie
> lassen sich diese in Zukunft vermeiden? etc.

> Terrorismus ist eine Form der Gewalt, die sich absolut nicht mit
> Gewalt bekämpfen läßt, nur wenn man den Nährboden abgräbt, lassen
> sich Erfolge verzeichnen.

> Also, wie entsteht Terrorismus? DAS hat Maresch in seinem
> anti-pazifistischen Artikel leider nicht erwähnt.

> Gruß, Z.

Das war freilich auch nicht seine Absicht. Einen Hinweis kann ich
allerdings geben: der moderne islamische Terrorismus hat seine
Wurzeln in Ägypten, genauer gesagt in den Muslimbruderschaften und
ihrer Unterdrückung durch Nasser, die sich nach dem verlorenen
6-Tage-Krieg gegen Israel 1967 bildeten. Das war der Punkt an dem
sowohl der Panarabismus gescheitert war, als auch die linken,
sozialreformerischen Bewegungen sich zum Islamismus hin entwickelten
und ihre Verbindungen zu westlichen Ideologien kappten. Die durch die
Niederlage und die nachfolgende Besetzung des Westjordanlandes und
Gaza erfolgte Demütigung durch Isreal ( stellv. f.d. "Westen" ),
stellte gerade in konservativen, bürgerlichen Kreisen erneut den
ganzen Weg der Modernisierung der arabischen Kultur in Frage.
Nachdem die Anhänger der Muslimbruderschaften in Gefängnissen
landeten, gefoltert wurden und schließlich flohen, änderten sie ihre
Strategie und griffen nicht mehr die Regierungen ihrer Länder direkt
an, sondern denjenigen, für den sie standen, d.h. nicht den
Repräsentanten, sondern die Repräsentation. Sehr erfolgreich taten
sie das mit amerikanischer, pakistanischer, aber auch saudischer
Unterstützung in Afghanistan, als Djihadis im Krieg gegen die
Sowjetunion. Spater kamen die USA und die Koalition der Willigen
selbst dran. Das ist, kurz gefasst, der Urpsrung von Al Quaida.

Kritikwürdig finde ich an Mareschs Artikel das Gleiche, was mir auch
bei Glucksmann schon missfallen hat, auch wenn es bei Glucksmann noch
direkter zum Vorschein kommt. Es mag sein, dass Selbstmordattentäter
Nihilisten sind, ihr Motiv ist jedoch kriegerisch-symbolisch und die
westliche Öffentlichkeit hat darauf auch in einer Weise reagiert,
dass sie den Terrorismus und den 11-ten September "sakralisiert" hat
( wie P.Sloterdijk in einem Interview ganz korrekt anmerkte ). Bei
Maresch deckt sich die Nihilismusdiagnose mit der Schmitts, wobei ich
mich frage, wie Schmitt eigentlich das missionarische Christentum
beurteilt hat, deren Heimat ja nicht die Erdscholle, sondern das
Evangelium ist?

Eine andere Sache betrifft natürlich sein Hauptthema, die Trauer um
das logische Ende des rationalistischen Völkerrechts und seiner
Begriffe, die meines Erachtens weniger durch pazifistische
Gutmenschen nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zu Fall gekommen
sind, sondern durch ihre faktische Entwertung in zwei Weltkriegen. In
den Massenmorden des 1-ten und 2-ten Weltkriegs ist die
Unterscheidung zwischen Kombatant und Nicht-Kombatant faktisch
aufgehoben worden. Der totale Krieg war nicht nur eine rhetorische
Seifenblase des deutschen Propagandaministers, sondern spielte sich
auf russischem und polnischen Boden bereits ab, als Goebbels sein
Pseudo-Plebiszit in der Berliner Sportpalastarena einforderte (
Stalingrad war gerade verloren ). Von den KZs will ich hier gar nicht
reden.

Andererseits finde ich den rationalistischen Ansatz auch interessant,
die juristischen, politischen und moralischen Kategorien zu trennen -
aber wie? Darin erkenne ich eher einen Nachhall der Systemtheorie,
der Maresch einmal verbunden war, bis er dann anfing gegen sie zu
polemisieren. Mir ist dabei nicht ganz klar, ob er an die Wirksamkeit
der Codes glaubt, an die operative Macht von Unterscheidungen, die
sich ihre Wirklichkeit schaffen, statt dass sie bloß eingesetzt
werden, um das Wesen der Wirklichkeit zu erfassen? Wie nahe oder fern
er dem Konstruktivismus heute steht, kann ich nicht beantworten. In
jedem Fall finde ich diese Optik bemerkenswert, mit der versucht wird
aus der im Recht zur Geltung gelangten Philosophie, wieder auf die
Wirklichkeit zurückzublicken. Es gibt für mich derzeit keine
spannendere philosophische Betätigung und ich verfolge das mit großem
Interesse.

Tloen


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