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  • alkalamba

mehr als 1000 Beiträge seit 18.06.2001

Ein neuer Tiefpunkt auf TELEPOLIS

Marco Radtke schrieb am 30. September 2003 18:46

> Das verwundert auch nicht, da ein allgemeiner Rückgang der
> Intelligenz sich auch schwer nachweisen ließe. Immerhin müssen
> gängige Intelligenztests regelmäßig neu normiert werden, da es sonst
> zu einem sogenannten Deckeneffekt kommen würde und die Bevölkerung
> scheinbar immer intelligenter werden würde.

Mehr noch: Der Durchschnitts-IQ, der nach dem jeweils gleichen
standardisierten Messverfahren ermittelt wurde, ist nach meinen
Informationen seit den 50ern um mehr als 20 Punkte in Deutschland
angestiegen. Wenn überhaupt, könnte man also eher eine allgemeine
Zunahme der Intelligenz proklamieren, wenngleich es sich effektiv
eher um eine Zunahme des Bildungsniveaus handeln dürfte - und der
Durchschnitts-Deutsche ist heutzutage nunmal zum Glück weitaus
gebildeter als vor 50 Jahren.

Ich wüsste von keiner einzigen weiteren Untersuchung, die die hier
aufgestellten, äußerst weitreichenden Behauptungen stützen würde. Die
Existenz unzähliger hochbegabter Menschen, die zu diesem Zeitpunkt
ihre Intelligenz produktiv einsetzen, anstatt wilde Theorien über
deren angebliche Zerstörung aufzustellen, strafen solche Mutmaßungen
aber schon besser Lügen, als das irgendeine Studie je könnte.

> Ich denke, man kann auch anhand der schädlichen Effekte von diversen
> Schadstoffen auf das menschliche Nervensystem gegen die
> Umweltverschmutzung etc. argumentieren, ohne gleich eine allgemeine
> Verblödung zu proklamieren.

a) kann man das wohl nicht in Telepolis, dem Sammelbecken für all
diejenigen, die in der Weltpolitik wahlweise eine Verschwörung des
Weltjudentums, des CIA, der Illuminaten oder Außerirdischen sehen und
auch sonst gewillt sind, jeder noch so abstrusen Idee Raum zu geben,
nur der Freiheit der Gedanken willen. Dieser unbegrenzte Relativismus
ist letztendlich immer destruktiv, weil er so radikal ist, dass er
sich selbst in Frage stellt, wie schon viele namhafte Philosophen so
treffend festgestellt haben.

b) sollte man, selbst wenn man sich auf einer etwas bodenständigeren
Ebene mit den angeblichen Auswirkungen von Umweltverschmutzung auf
menschliche Intelligenz auseinandersetzt, nicht unter den Tisch
fallen lassen, dass unsere Vorfahren über die Jahrhunderte weitaus
größeren Risiken, Gefährdungen und auch Umweltgiften ausgesetzt waren
als wir heute. So ist z.B. das Räuchern und Pökeln, noch zu
Großmutters Zeiten eine durchaus übliche Methode zur Konservierung
(es gab ja noch keine bösen Kühlschränke und Gefriertruhen mit bösen
gefährlichen chemischen Kältemitteln..), nachweislich krebserregend,
wenn auch nur in eher geringem Maße. Reines Trinkwasser ohne
Verunreinigungen aller Art ist auch eine Errungenschaft der Neuzeit
und der Technisierung, ebenso wie Hygiene im Gesundheitswesen und
Alltag und alle möglichen anderen Faktoren, die sich bei
realistischer Betrachtung im Größenordnungen bestimmender auf die
Lebensqualität der Menschen auswirken als mikroskopisch kleine Spuren
diverser Chemikalien in der Umwelt, die es übrigens zu großen Teilen
schon immer gegeben hat, nur dass die Leute vor 100 [200,300..]
Jahren andere Probleme hatten, als sich über virtuelle Probleme den
Kopf zu zerbrechen.

Achja, noch etwas an unsere Ökochonder-Fraktion: Die meisten und
gefährlichsten Gifte sind natürlichen Ursprungs. So wurden z.B. in
Kaffee mehrere krebserregende Substanzen nachgewiesen, ebenso in
Kakao und sogar in Obst! Das gefährlichste Gift der Welt, das
Butolinustoxin, stammt ebenfalls nicht aus Labors der chemischen
Industrie, sondern wird von einem Bakterium produziert, das sich in
verdorbenem Fleisch wohlfühlt. Was sagt uns das? Natürlich nicht,
dass synthetische Gifte deshalb harmloser sind - aber wie schon
Paracelsus feststellte: Die Dosis macht das Gift. Und deshalb können
wir wohl auch weiterhin Kaffee trinken und sollten uns nicht die
Köpfe heißreden über Schadstoffe, die in tausendfach höherer
Konzentration eine Ratte umbringen können. Nur ein Beispiel: Wer auf
einen Schlag die Menge an Blausäure zu sich nähme, die in 10 kg
Haselnüssen enthalten ist, wäre auf der Stelle tot. Trotzdem kann man
Haselnüsse essen. Die Hysterie, die derzeit im Zusammenhang mit
vermeintlichen oder echten Giften besteht, wird immer weniger von den
Fakten getragen. Z.B. besteht beim Kaufen der Milch direkt vom Bauern
die Gefahr, an diversen Erregern zu erkranken, die beim
Ultrahocherhitzen (Pasteurisierung) abgetötet werden, wie es mit
industriell abgepackter Milch gemacht wird. Trotzdem halten viele die
direkt abgeholte Milch für "gesünder".

Tatsache ist: Die Lebensqualität ist in den letzten hundert Jahren,
mit Ausreißern bei den Weltkriegen, relativ kontinuierlich
angestiegen. Es ging noch niemals in der Geschichte einem so großen
Anteil der Weltbevölkerung so gut wie heute. Die Lebenserwartung war
noch nie höher, die Säuglingssterblichkeit noch nie geringer. Noch
nie zuvor hatte eine so große Zahl von Menschen Zugriff auf Luxus wie
den, sich keine Gedanken über die Sicherstellung der
Nahrungsversorgung machen zu müssen. Die Qualität der Lebensmittel
war noch nie so hoch wie heute. Niemals zuvor konnte man soviele
Krankheiten heilen, niemals zuvor so vielen Menschen so kostengünstig
und erschwinglich so umfangreiche Mobilität bieten. Nun liegt es in
der Natur des Menschen, immer an etwas herummäkeln zu müssen. Aber
wir sollten bei alldem doch immer im Blick behalten, welchen
Errungenschaften wir diese enormen Fortschritte an Lebensqualität zu
verdanken haben, bevor wir ausgerechnet die Säulen dieses
Fortschritts bedenkenlos angreifen. Wenn es z.B. Bürgerinitiativen
gelingt, eine Technologie, die nachweislich Leben gerettet hat
(Mobilfunk) und Millionen Menschen einen Zugewinn an Lebensqualität
verschafft, wegen unbewiesener angeblicher Gesundheitsgefahren
stillzulegen, dann halte ich das für eine sehr bedenkliche
Entwicklung.

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