Suchslands Versuch, seine Polemik gegen das Homeoffice theoretisch zu unterfüttern ist durchaus interessant und enthält auch eine Menge korrekter Beobachtungen. Vermischt allerdings einige Entwicklungen und wertet sie einseitig.
Indem "Freie" und sogar Angestellte oft 24/7 erreichbar sein müssen - und sie verpflichten sich oft selbst innerlich dazu, erreichbar zu sein - schwindet die Freizeit.
Dies und auch die Ausführungen zur Überwälzung von Bestandteilen zuvor gesamthaft erbrachter Dienstleistungen auf die Konsumenten ist sicherlich eine Entwicklung, die seit Jahrzehnten im Gang ist. Der technologische Fortschritt hilft bei der 'Rationalisierung' der Betriebsabläufe, indem er sie einerseits abwälzbar macht und andererseits, die Angestellten gleichsam an unsichtbaren Schnüren an die Unternehmung bindet.
Arbeitgeber sparen Kosten für Büroräume, für deren Instandhaltung, Heizung, Belüftung und sanitäre Versorgung, sie sparen überdies Strom- und Energiekosten und bürden all dies den Arbeitnehmern auf...
Die Computer-Kosten übernehmen die Arbeitnehmer selber, weil sie zunehmend auf ihren privaten Computern und mit ihren privaten Smartphones arbeiten.
Auch diese Abwälzung, hier nicht auf die Konsumenten sondern auf die Angestellten, scheint verlockend, ist aber aus Sicht der Unternehmung nicht ungefährlich. Viele Chefs argwöhnen, dass zuhause die Arbeitsleistung sinke, sie sind es, denen das Vertrauen fehlt, obwohl gleichzeitig von vielen Fällen von Selbstausbeutung der Angestellten die Rede ist. Wenn der Staat keinen Zwang ausübt, ist der Prozentsatz, der ins Homeoffice Verschickten - oder Entlassenen? - massiv niedriger als das Potential dafür. Die technologischen Kontrollmöglichkeiten sind ihnen nicht sicher genug.
Zweifellos kann man Suchsland zustimmen, dass die Kostenüberwälzung ein Nachteil für die im Homeoffice Arbeitenden ist. Es liegt daher nahe, gewerkschaftlich, wenn nötig juristisch Kompensation zu fordern. Das hat durchaus gute Aussicht auf Erfolg. Selbstverständlich ist nicht jede Wohnumgebung geeignet, auch dies ist ein künftiges Feld der Auseinandersetzung und es ist durchaus nicht sicher, dass eine solche im Sinne der Unternehmung entschieden wird.
Man darf also nicht die Zwangssituation Pandemie als Massstab nehmen. In Normalzeiten wird die Suppe nicht so heiss gegessen, wie sie aufgetischt wird. Die von Suchsland beschriebene längerfristige Entwicklung ist wesentlich ambivalenter, als er sie darstellt:
Zugespitzt könnte man argumentieren, dass wir in mittelalterliche Verhältnisse zurückkehren.
Mittlerweile ist 'das Mittelalter' zur Chiffre für 'hoffnungslos aus der Zeit gefallen', 'atavistisch' verkommen. Auch in diesem Fall ist das so, insofern die Trennung von Arbeits- und Privatleben auch noch Jahrhunderte nach Ende des Mittelalter fortbestand, mit wenigen Ausnahmen erst in der Moderne erste sichtbare Risse bekam.
Homeoffice hat Vor- und Nachteile, die Bürowelt ist bei weitem nicht so positiv, wie sie Suchsland hier darstellt. Vielleicht kennt er sie, als hauptberuflicher Filmkritiker zu wenig.
Es geht auch nicht darum, Homeoffice als tolle Sache darzustellen. Aber es ist nicht in sich das Unding, das der Autor draus macht, einfach eine Folge der Entwicklung der kapitalistischen Arbeitswelt, mit der sich alle Beteiligten auseinandersetzen müssen, um die neuen terms of trade auszuhandeln. In der Praxis mag es ja auch viele Mischlösungen geben. Die eigentlichen Probleme liegen woanders.