Nationalstolz erfüllt für den, der seine eigene Bedeutungslosigkeit
als belastend und degradierend empfindet, den einzigen Zweck, diesen
Druck zu kompensieren. Für alle, die über wenig Besitz und über ein
geringes soziales Prestige verfügen, war die Familie und die
Zugehörigkeit zu einer Nation schon immer eine Quelle individuellen
Prestiges. Hier kann der Einzelne sich als "Jemand" fühlen. Auch wenn
er in seinen gesellschaftlichen Beziehungen ein Niemand ist, zu Hause
und am Stammtisch kann er sich fühlen. Er ist stolz darauf, einer
Gruppe anzugehören, die sich anderen vergleichbaren Gruppen überlegen
fühlt. Das heutige Sicherheitsgefühl der oben bezeichneten Gruppe
(Masse) liegt z.T. nur an der Oberfläche und hält sich auch nur so
lange, wie stabilisierende Faktoren vorhanden sind.
Narzißmus stellt eine Überkompensation des Mangels an Selbstliebe
dar. Der Narzißt deckt ebenso wie der am Gruppennarzißmus Teilhabende
zu, was ihn beunruhigt und quält. Wenn, wie beim Gruppen-Narzißmus,
das Objekt nicht der einzelne, sondern die Gruppe ist, kann sich der
einzelne dieses Narzißmus voll bewußt sein und ihn ohne Hemmungen zum
Ausdruck bringen (im Gegensatz zum individuellen Narzißmuß, der
verpönt ist und deshalb so gut es geht verborgen wird). Die
Behauptung, daß "mein Vaterland" (oder meine Nation oder meine
Religion) am wunderbarsten, kultiviertesten, mächtigsten,
friedliebendsten usw. ist, klingt durchaus nicht verrückt. Im
Gegenteil, es klingt nach Patriotismus, Glaube und Loyalität.
Außerdem erscheint es als ein ein realistisches und vernünftiges
Werturteil, da es von vielen Mitgliedern der gleichen Gruppe geteilt
wird. Dieser Konsensus bringt es fertig, die Phantasie in eine
Realität umzuwandeln, da Realität für die meisten Menschen durch den
allgemeinen Konsensus erzeugt wird und sich nicht auf vernünftige
oder kritische Überlegungen gründet. Gelegentlich genügt auch schon
der Konsensus einer kleinen Gruppe, um eine Realität zu erzeugen - in
den extremsten Fällen sogar schon der Konsensus von zwei Personen
(folie à deux).
Beim Nationalstolz junger Skinheads, die nachweislich (noch) nichts
für die vermeintlich herausragende Position "ihres" Staates, "ihrer"
Nation getan haben, ist der Zweck, den dieser Gruppennarzißmus
erfüllt, mehr als offensichtlich: Selbsterhöhung, Abgrenzung und vor
allem Vermeidung bzw. eher Kompensation von
Minderwertigkeitsgefühlen.
Der Gruppennarzißmus hat wichtige Funktionen. Vor allem fördert er
die Solidarität und den inneren Zusammenhalt der Gruppe und
erleichtert ihre Manipulation, da er an narzißtische Vorurteile
appelliert. Zweitens ist er außerordentlich wichtig als ein Element,
das den Mitgliedern der Gruppe Befriedigung verschafft, vor allem
jenen unter ihnen, die an sich wenig Grund hätten, sich stolz und
schätzenswert zu finden. Wenn man das armseligste, ärmste und am
wenigsten respektierte Mitglied einer Gruppe ist, wird man für seinen
elenden Zustand durch das Gefühl entschädigt: "Ich bin ein Teil der
wundervollsten Gruppe der Welt. Ich, der ich in Wirklichkeit ein
armseliger Wurm bin, werde zum Riesen dadurch, daß ich zu dieser
Gruppe gehöre." Folglich entspricht der Grad des Gruppennarzißmus dem
Mangel an wirklicher Befriedigung im Leben. Jene sozialen Klassen,
die ihr Leben mehr genießen, sind weniger fanatisch (Fanatismus ist
eine charakteristische Eigenschaft des Gruppennarzißmus) als die,
welche wie das Kleinbürgertum an einem Mangel auf allen materiellen
und kulturellen Gebieten leiden und ein Leben führen, das
unterträglich langweilig ist.
Gleichzeitig ist es vom Standpunkt des Sozialbudgets aus sehr billig,
den Gruppennarzißmus zu fördern. Tatsächlich kostet er fast nichts,
verglichen mit den Sozialausgaben, die nötig wären, den
Lebensstandard zu erhöhen. Die Gesellschaft braucht nur die Ideologen
zu bezahlen, die die Schlagworte forumulieren, welche den sozialen
Narzißmus erzeugen. Viele soziale Funktionäre wie Lehrer,
Journalisten, Pfarrer und Professoren sind zur Mitarbeit bereit, ohne
dafür bezahlt zu werden, wenigstens was das Geld betrifft. Ihre
Belohnung besteht darin, daß sie sich stolz und befriedigt fühlen,
einer würdigen Sache zu dienen - und daß ihr Prestige und ihre
Aufstiegsmöglichkeiten steigen.
Diejenigen, deren Narzißmus mehr ihre Gruppe als sie selbst betrifft,
sind ebenso empfindlich wie individuelle Narzißten, und sie reagieren
wütend auf jede wirkliche oder eingebildete Beleidigung, die ihrer
Gruppe angetan wird. Sie reagieren womöglich nur noch intensiver und
ganz gewiß bewußter darauf. Ein einzelner wird, wenn er nicht gerade
geisteskrank ist, wenigstens manchmal einige Zweifel in bezug auf
sein narzißtisches Selbst-Image hegen. Das Mitglied einer Gruppe
kennt solche Zweifel nicht, da die Mehrheit seinen Narzißmus teilt.
Im Falle eines Konflikts zwischen verschiedenen Gruppen, die ihren
kollektiven Narzißmus gegenseitig herausfordern, ruft diese
Herausforderung eine intensive wechselseitige Feindschaft hervor. Das
narzißtische Image der eigenen Gruppe wird aufs höchste gesteigert,
während man die feindliche Gruppe möglichst herabsetzt. Die eigene
Gruppe wird zum Verteidiger der menschlichen Würde, des Anstandes,
der Moral und des Rechts. Die andere Gruppe wird verteufelt: sie ist
betrügerisch, skrupellos, grausam und von Grund auf unmenschlich. Die
Beleidigung eines Symbols des Gruppennarzißmus - z.B. der Fahne oder
der Person des Kaisers, des Präsidenten oder eines Gesandten - ruft
als Reaktion beim Volk eine so intensive Wut und Aggression hervor,
daß es sogar bereit ist, seine Führer in ihrer Kriegspolitik zu
unterstützen.
Der Gruppennarzißmus ist eine der wichtigsten Quellen der
menschlichen Aggression und trotzdem ist er - wie alle anderen Formen
der defensiven Aggression - eine Reaktion auf einen Angriff auf
vitale Interessen. Er unterscheidet sich von anderen Formen der
defensiven Aggression nur darin, daß er intensive Narzißmus an und
für sich eine halb-pathologische Erscheinung ist. Wenn man nach den
Ursachen und der Funktion der blutigen und grausamen Massenmassaker
fragt, wie sie z.B. zwischen Hindus und Moslems zur Zeit der Teilung
Indiens vorkamen, so spielte der Gruppennarzißmus ganz gewiß eine
beträchtliche Rolle. Das ist weiter nicht erstaunlich, wenn man
bedenkt, daß wir es hier mit den praktisch ärmsten und elendsten
Bevölkerungsgruppen der Welt zu tun haben. Aber ganz gewiß ist der
Narzißmus nicht die einzige Ursache dieser Phänomene.
Irwisch
als belastend und degradierend empfindet, den einzigen Zweck, diesen
Druck zu kompensieren. Für alle, die über wenig Besitz und über ein
geringes soziales Prestige verfügen, war die Familie und die
Zugehörigkeit zu einer Nation schon immer eine Quelle individuellen
Prestiges. Hier kann der Einzelne sich als "Jemand" fühlen. Auch wenn
er in seinen gesellschaftlichen Beziehungen ein Niemand ist, zu Hause
und am Stammtisch kann er sich fühlen. Er ist stolz darauf, einer
Gruppe anzugehören, die sich anderen vergleichbaren Gruppen überlegen
fühlt. Das heutige Sicherheitsgefühl der oben bezeichneten Gruppe
(Masse) liegt z.T. nur an der Oberfläche und hält sich auch nur so
lange, wie stabilisierende Faktoren vorhanden sind.
Narzißmus stellt eine Überkompensation des Mangels an Selbstliebe
dar. Der Narzißt deckt ebenso wie der am Gruppennarzißmus Teilhabende
zu, was ihn beunruhigt und quält. Wenn, wie beim Gruppen-Narzißmus,
das Objekt nicht der einzelne, sondern die Gruppe ist, kann sich der
einzelne dieses Narzißmus voll bewußt sein und ihn ohne Hemmungen zum
Ausdruck bringen (im Gegensatz zum individuellen Narzißmuß, der
verpönt ist und deshalb so gut es geht verborgen wird). Die
Behauptung, daß "mein Vaterland" (oder meine Nation oder meine
Religion) am wunderbarsten, kultiviertesten, mächtigsten,
friedliebendsten usw. ist, klingt durchaus nicht verrückt. Im
Gegenteil, es klingt nach Patriotismus, Glaube und Loyalität.
Außerdem erscheint es als ein ein realistisches und vernünftiges
Werturteil, da es von vielen Mitgliedern der gleichen Gruppe geteilt
wird. Dieser Konsensus bringt es fertig, die Phantasie in eine
Realität umzuwandeln, da Realität für die meisten Menschen durch den
allgemeinen Konsensus erzeugt wird und sich nicht auf vernünftige
oder kritische Überlegungen gründet. Gelegentlich genügt auch schon
der Konsensus einer kleinen Gruppe, um eine Realität zu erzeugen - in
den extremsten Fällen sogar schon der Konsensus von zwei Personen
(folie à deux).
Beim Nationalstolz junger Skinheads, die nachweislich (noch) nichts
für die vermeintlich herausragende Position "ihres" Staates, "ihrer"
Nation getan haben, ist der Zweck, den dieser Gruppennarzißmus
erfüllt, mehr als offensichtlich: Selbsterhöhung, Abgrenzung und vor
allem Vermeidung bzw. eher Kompensation von
Minderwertigkeitsgefühlen.
Der Gruppennarzißmus hat wichtige Funktionen. Vor allem fördert er
die Solidarität und den inneren Zusammenhalt der Gruppe und
erleichtert ihre Manipulation, da er an narzißtische Vorurteile
appelliert. Zweitens ist er außerordentlich wichtig als ein Element,
das den Mitgliedern der Gruppe Befriedigung verschafft, vor allem
jenen unter ihnen, die an sich wenig Grund hätten, sich stolz und
schätzenswert zu finden. Wenn man das armseligste, ärmste und am
wenigsten respektierte Mitglied einer Gruppe ist, wird man für seinen
elenden Zustand durch das Gefühl entschädigt: "Ich bin ein Teil der
wundervollsten Gruppe der Welt. Ich, der ich in Wirklichkeit ein
armseliger Wurm bin, werde zum Riesen dadurch, daß ich zu dieser
Gruppe gehöre." Folglich entspricht der Grad des Gruppennarzißmus dem
Mangel an wirklicher Befriedigung im Leben. Jene sozialen Klassen,
die ihr Leben mehr genießen, sind weniger fanatisch (Fanatismus ist
eine charakteristische Eigenschaft des Gruppennarzißmus) als die,
welche wie das Kleinbürgertum an einem Mangel auf allen materiellen
und kulturellen Gebieten leiden und ein Leben führen, das
unterträglich langweilig ist.
Gleichzeitig ist es vom Standpunkt des Sozialbudgets aus sehr billig,
den Gruppennarzißmus zu fördern. Tatsächlich kostet er fast nichts,
verglichen mit den Sozialausgaben, die nötig wären, den
Lebensstandard zu erhöhen. Die Gesellschaft braucht nur die Ideologen
zu bezahlen, die die Schlagworte forumulieren, welche den sozialen
Narzißmus erzeugen. Viele soziale Funktionäre wie Lehrer,
Journalisten, Pfarrer und Professoren sind zur Mitarbeit bereit, ohne
dafür bezahlt zu werden, wenigstens was das Geld betrifft. Ihre
Belohnung besteht darin, daß sie sich stolz und befriedigt fühlen,
einer würdigen Sache zu dienen - und daß ihr Prestige und ihre
Aufstiegsmöglichkeiten steigen.
Diejenigen, deren Narzißmus mehr ihre Gruppe als sie selbst betrifft,
sind ebenso empfindlich wie individuelle Narzißten, und sie reagieren
wütend auf jede wirkliche oder eingebildete Beleidigung, die ihrer
Gruppe angetan wird. Sie reagieren womöglich nur noch intensiver und
ganz gewiß bewußter darauf. Ein einzelner wird, wenn er nicht gerade
geisteskrank ist, wenigstens manchmal einige Zweifel in bezug auf
sein narzißtisches Selbst-Image hegen. Das Mitglied einer Gruppe
kennt solche Zweifel nicht, da die Mehrheit seinen Narzißmus teilt.
Im Falle eines Konflikts zwischen verschiedenen Gruppen, die ihren
kollektiven Narzißmus gegenseitig herausfordern, ruft diese
Herausforderung eine intensive wechselseitige Feindschaft hervor. Das
narzißtische Image der eigenen Gruppe wird aufs höchste gesteigert,
während man die feindliche Gruppe möglichst herabsetzt. Die eigene
Gruppe wird zum Verteidiger der menschlichen Würde, des Anstandes,
der Moral und des Rechts. Die andere Gruppe wird verteufelt: sie ist
betrügerisch, skrupellos, grausam und von Grund auf unmenschlich. Die
Beleidigung eines Symbols des Gruppennarzißmus - z.B. der Fahne oder
der Person des Kaisers, des Präsidenten oder eines Gesandten - ruft
als Reaktion beim Volk eine so intensive Wut und Aggression hervor,
daß es sogar bereit ist, seine Führer in ihrer Kriegspolitik zu
unterstützen.
Der Gruppennarzißmus ist eine der wichtigsten Quellen der
menschlichen Aggression und trotzdem ist er - wie alle anderen Formen
der defensiven Aggression - eine Reaktion auf einen Angriff auf
vitale Interessen. Er unterscheidet sich von anderen Formen der
defensiven Aggression nur darin, daß er intensive Narzißmus an und
für sich eine halb-pathologische Erscheinung ist. Wenn man nach den
Ursachen und der Funktion der blutigen und grausamen Massenmassaker
fragt, wie sie z.B. zwischen Hindus und Moslems zur Zeit der Teilung
Indiens vorkamen, so spielte der Gruppennarzißmus ganz gewiß eine
beträchtliche Rolle. Das ist weiter nicht erstaunlich, wenn man
bedenkt, daß wir es hier mit den praktisch ärmsten und elendsten
Bevölkerungsgruppen der Welt zu tun haben. Aber ganz gewiß ist der
Narzißmus nicht die einzige Ursache dieser Phänomene.
Irwisch