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  • dr.cheeba

mehr als 1000 Beiträge seit 08.07.2002

Fortschritt ist nicht schon da, sondern wird gemacht

vollkoffer schrieb am 9. Juli 2005 5:31

> dr.cheeba schrieb am 9. Juli 2005 1:52

> > marc_aurel schrieb am 8. Juli 2005 16:52
> >
> > > Nein, sondern: Menschen, stinknormale Menschen! Rache, pure Bosheit,
> > > Bitterkeit, Lust an Gewalt, Zerstörung und Tod sind nämlich meines
> > > Erachtens Motive, die bei Tieren keine Rolle spielen.

> Gut beobachtet. Diese Motive bringen naemlich keine Vorteile, deshalb
> kommen sie bei gesunden Tieren in freier Wildbahn nicht vor.

> Der Mensch schadet sich mit solchen Motiven auch, aber gerade in
> zivilisierten Gesellschaften gibt es derartig viele Menschen, dass
> Aussterben keine Bedrohung ist. Deshalb kann die Vernunft
> hintenangestellt werden, solange das Aussterben nicht aktuell wird.

Diese Situation (keine Bedrohung des Aussterbens) kann es für
Tierpopulationen ja ebenso geben.

> > Wer weiß?

> Es gibt Wissenschaftler, die behaupten, einiges darueber zu wissen.
> Aber man muss ihnen ja nicht glauben.

> > Es ist schwierig, das herauszukriegen.

> Eine Suchmaschine im Internet koennte der Anfang sein. Aber wie
> gesagt, wenn man den Wissenschaftlern nicht glaubt ...

Ich habe ja nicht behauptet, daß es unmöglich sei, sondern nur:
schwierig. Und das ist so. Außerdem ist damit nicht gemeint, die
Forschungsergebnisse anderer nachzulesen, sondern die Forschung als
solche. Natürlich kann da man eine Menge Schlüsse ziehen, aber das
Gefühlsleben von Tieren und ihre Motivationen sind selbstverständlich
viel schwieriger zu ergründen als das bei Menschen der Fall ist, mit
denen man immerhin sprechen kann.

> > Jedenfalls scheint
> > es in der Tierwelt andererseits auch kein so großes Mitgefühl zu
> > geben, wie es Menschen untereinander eben auch haben und pflegen.

> Also die Tierwelt ist recht vielfaeltig. Selbst bei den Reptilien
> gibt es einige, die Brutpflege betreiben und andere die noch nicht
> einmal ihre Jungen kennen und sie auch glatt auffressen wuerden.

Eben. Auch nicht alles so liebe Kreaturen, obwohl es auch die gibt.
Von den Menschen wiederum sind ebenfalls nicht alle böse, nur die
bösen Taten erregen nun einmal mehr Aufmerksamkeit.

> Sind eben alles Geschoepfe Gottes. Armer Gott ...

Nun ja, schon in der biblischen Schöpfungsgeschichte ist eine klare
Progression zu erkennen (wie sie wissenschaftlich ebenso angenommen
wird). Wenn man diese Idee begreift, muß man auch bei den Menschen
nicht mehr so pessimistisch sein.

> > Wenn in einer Rinderherde ein Tier vom Löwen gerissen wird, machen
> > die anderen Herdenmitglieder darum kein großes Aufheben. Oder Eltern,
> > die ihre Kinder verstoßen und verhungern lassen. Kann man auch in der
> > Tierwelt beobachten.

> Bei der Vielfaeltigkeit in der Tierwelt sollte man den Menschen auch
> vielleicht nur mit anderen Primaten vergleichen. Rinder haben eine
> ganz andere Ueberlebensstratgie als Primaten. Es gibt auch Raubtiere,
> die alleine jagen und andere jagen in Rudeln. Und der Mensch
> verteidigt sich nun einmal in Rudeln. Daher ist Clan-Bildung und
> Verwandtschaftsbeziehung ein wichtiges Thema in der Ethnologie.

In der zivilisierten und erst recht der modernen Gesellschaft hat der
Mensch allerdings auch eine größere Auswahl an Überlebensstrategien.

> > Also, man sollte die Wildnis nun auch nicht
> > realititätsfremd romantisieren, um die These zu stützen, Bosheit sei
> > bei Menschen schlicht ihr Normalzustand und anderes von ihnen zu
> > erwarten naive Träumerei.

> Der Vorposter schrieb eigentlich nur, das es beim Menschen
> Verhaltensweisen gibt, die bei Tieren i.A. fehlen.
> Das "realitaetsfremde Romantisieren" ist eigentlich eher bei denen
> ueblich, die das Schlechte im Menschen als naturgegeben bezeichnen,
> um damit gesellschaftliche Missstaende zu rechtfertigen.

Stimmt. Ich wollte mich mit meinem Kommentar nicht nur an meinen
direkten Vorposter wenden, sondern auch an die davor.

> > Manchem fällt es leichter, das Negative in
> > der Welt zu ertragen, indem er sich diese scheinbar abgeklärte
> > Haltung zulegt, aber vollkommen realistisch ist das nicht. In
> > Wirklichkeit hat die Geschichte der Menschheit auch viele
> > Fortschritte aufzuweisen, eben das, was man gemeinhin als human
> > betrachtet.

> Es gibt auch Wissenschaftler wie Riane Eisler, Marija Gimbutas, James
> deMeo, die die These verteten, dass der Mensch von Geburt an schon
> gut ausgestattet ist, was humane Werte angeht, und dass unsere
> Gesellschaft eine Gesellschaft der Dominanz ist, der es an humanen
> Werten mangelt.

> Marija Gimbutas sagt, dass der Einfall der Indogermanen in Europa den
> vorher friedlichen Kulturen den Garaus gemacht hat. James deMeo
> beschreibt, wieso z.B. die Indogermanen kriegerisch und
> patriarchalisch wurden.

Interessant. Vielen Dank für die Namen.

Das hieße, der Mensch würde nur von Traditionen verdorben. Erziehung
wäre demnach eher von übel. Jedenfalls könnte man damit gut eine
Laissez-Faire-Ideologie rechtfertigen, extremen Liberalismus,
Anarchie. Aber das kann man sicher nicht so pauschal beurteilen.
Manches, das die Zivilisation hervorgebracht hat, ist gut, manches
schlecht. Es müßte also eher eine stetige Selbstreinigungsfunktion
der Traditionen gefördert werden, kein absolutes Verwerfen, aber auch
kein absolutes Bewahren. Daher haben die Aufklärer ja Mündigkeit des
Einzelnen angestrebt, damit das an allen Stellen der Gesellschaft
immer geschehen kann und der Unvernunft möglichst Rückzugsraum
gegeben wird sowie durch die Mannigfachigkeit und Parallelität
Fehlentwicklungen wegen der Vergleichbarkeit besser erkannt werden
können.

Daß der Mensch von Geburt an schon gut sei und er erst später
verdorben würde, kann ich so nicht glauben. Er mag von Geburt an das
Potential zum Guten haben, aber eben auch das zum Schlechten. Die
Neigungen in verschiedenen Details zum einen oder anderen mag von
Geburt an individuell bzw. erbgutbedingt mehr oder weniger stark
ausgeprägt sein, aber ohne Erziehung blieben wohl auch Menschen auf
der Ebene von Primaten. Vielleicht gibt es da dann immer noch das
Bestreben, Gutes zu tun, das mag auch in jedem Menschen angelegt
sein, aber es gibt dann nicht mehr so viel Gutes, das man tun könnte,
weil die entwickelten Strukturen dafür nicht vorhanden wären. Die
haben die Tiere auch nicht in dem Maße - abgesehen von Haustieren,
die von den Strukturen der Menschen diesbezüglich profitieren, sie
werden daher auch humaner. Aber selber nur mit Hilfe ihrer eigenen
Artgenossen könnten sie diese Basis natürlich nicht schaffen.

> > Der Mensch hat also das Pontential, gut zu sein, und zwar viel mehr
> > als das durchschnittliche Tier. Allerdings muß er auch zur Vernunft
> > gebracht werden. Die Aufklärer der Renaissance wußten schon, wozu ihr
> > Projekt gut sein sollte.

> Was hatten die Aufklaerer der Renaissance uns voraus, dass wir ihnen
> ehrfuerchtig lauschen muessen?

Wir sollten generell allen vorigen Epochen Aufmerksamkeit schenken,
um aus ihnen zu lernen, aus dem Guten wie dem Schlechten. Und die
Renaissance hieß eben auch deswegen so, weil der damalige Zeitgeist
aus seiner Selbstbezogenheit ausbrach und sich wieder an alte
philosophische Weisheiten der Antike erinnert hat. Das ist ein gutes
Vorbild.

> > Allerdings muß er auch zur Vernunft gebracht werden.

> Die Aufklaerer der Renaissance waren bereits vernuenftig?? Eine Gnade
> der Geburt?

Nein, eine günstige Entwicklung des Zeitgeistes. Der kollektive Geist
ist es doch auch, der den Menschen den Tieren so überlegen macht. Von
der mündlichen Überlieferung bis hin zur schriftlichen und heutzutage
der automatisierten Datenverarbeitung. Diesen Geist hat man nicht von
Geburt an, den muß man sich aneignen. Und man muß dabei lernen, das
Gute von Schlechten zu scheiden, am besten selbständig, damit sich
Fehler nicht so leicht durch Nachahmung ausbreiten. Das ist es, was
die Aufklärer mit der Erziehung zur Mündigkeit bewerkstelligen
wollten. Da hat es ja auch einiges an Fortschritten gegeben.

> > Die Aufklärer der Renaissance "wußten schon",
> > wozu "ihr Projekt" gut sein sollte.

> Alle Achtung. Da bleibt uns nur eine ehrfuerchtige Verneigung.

Warum die Anführungszeichen? Warum sollte man sich nicht ehrfürchtig
verneigen?

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