Leider für die meisten für Euch hinter der Paywall. Ein langes und äußerst erhellenden Interview, aus dem ich einen kurzen Ausschnitt poste:
"Historiker Karl Schlögel seziert die Mythen des Diktators und wagt eine Prognose"
[...]
ZEIT Sinn: Alexander Dugin, Soziologieprofessor, Berater Putins und heute der wohl wortmächtigste Vertreter des moderne Neoeurasianismus, posiert gerne mit Panzerfaust für Fotografen. Über die Ukraine sagte er einmal: "Töten! Töten! Töten! Das ist meine Meinung als Professor."
Schlögel: Ja, unter den Neoeurasianern gibt es mitunter einen Kult der Brutalität, auch wenn ich nicht glaube, dass Putin selbst ein Vertreter der reinen eurasianischen Lehre ist.
ZEIT Sinn: Woher kommt dieser glühende Hass auf die Ukraine? Putin scheint ihre bloße Existenz als persönliche Beleidigung zu empfinden.
Schlögel: Eine Interpretation, die Putin eher wörtlich nimmt, besagt: Es geht ihm um die ganz große Geschichte. Weil die Kiewer Rus des 9. Jahrhunderts am Anfang der russischen wie auch der ukrainischen Nation steht, muss Kiew heim ins Reich. Das überzeugt mich nicht. Das energische Zentrum dieses Hasses liegt woanders: Ein Kernland der slawischen Welt will die Großartigkeit der imperialen Größe Russlands unter Putin nicht anerkennen – das grenzt für den russischen Präsidenten an Verrat. Dabei ist er blind für die Andersartigkeit des Nachbarn. Anders als Russland war die Ukraine nie dazu verurteilt, ein Imperium verwalten zu müssen. Als fragiles und hoch diverses politisches Gebilde musste sie sich vielmehr oft des gewaltsamen Zugriffs durch die umgebenden Imperien erwehren und sich nicht nur als Volk, sondern als Staat und Nation durchsetzen und behaupten. Eben deshalb wollen die Ukrainer heute vor allem eines: in Ruhe leben, ohne messianischen Auftrag und imperiale Ersatzreligion.
ZEIT Sinn: Aber die Ukraine gilt doch als Brudervolk der Russen. Ist sie wirklich so anders?
Schlögel: Vergleichen Sie die religiösen Landkarten der beiden Länder, sie könnten unterschiedlicher nicht sein. In Russland gibt es eine Staatsreligion, die alles dominiert. In der Ukraine dagegen findet sich eine selbstbewusste griechische Katholizität neben der autokephalen ukrainischen Orthodoxie, die sich von Moskau losgesagt hat. Und dann sind da noch die polnisch-katholischen Gemeinden rund um Lemberg und Ivano-Frankiwsk, die muslimischen Krimtataren sowie eine große jüdische Gemeinde, die sich mit dem ukrainischen Staat identifiziert. Gerade diese Einheit in der Verschiedenheit gilt den russischen Imperialisten als Ausdruck der Schwäche. Den offenkundigen Unterschieden zum Trotz gibt es aber Gemeinsamkeiten. Es handelt sich tatsächlich um Brudervölker. Sie sind durch familiäre und kulturelle Bande eng verbunden. Ebendeshalb wird es dem Putin-Regime auf Dauer unmöglich sein, zu verbergen, was in der Ukraine wirklich vorgeht. Internet und Fernsehen kann man zensieren. Aber die Wahrheit über den Krieg wird den Weg nach Russland finden mit den gefallenen russischen Soldaten.
https://zeit.de/2022/13/karl-schloegel-wladimir-putin-kirche/komplettansicht
yo
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (28.03.2022 11:01).