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  • the observer

mehr als 1000 Beiträge seit 18.07.2001

Re: "Sozial ist etwas, auf das ein Anspruch besteht."

do_nym schrieb am 11. April 2013 13:16

> Richtig! 
> Aber genau daran scheiden sich die ideologischen Geister.

> Die hierzulande herrschende christliche Sozialethik hat ein
> gottgebenes Sozialgefüge zum Kern, in dem "der Arme" fester
> Bestandteil der Welt ist, um den es sich zu "kümmern" gilt.

> Der "Christ" (miss)braucht den Armen geradezu, um sich seines
> Christseins zu versichern.

Das ist zwar grundsätzlich richtig, aber die sozialen Ungleichheiten
innerhalb unserer Gesellschaft sind kein Resultat einer religiösen
Moral, sondern ein Produkt eines Wirtschafts- und Finanzsystems, das
solche Ungleichkeiten geradezu hervorbringt und fördert. Die hier
erörterte Ungleichkeit ist ja keine, die auf Herkunft oder Kultur
beruht, sondern eine höchst unterschiedlicher Besitzstände, und immer
reicher (oder ärmer) wird man ja nicht durch inbrünstige (oder gar
keine) Ausübung religiöser Praktiken. Abgesehen davon klafft diese
vielzitierte Schere innerhalb jeder Gesellschaft der Erde (also zwar
quer durch jegliche Religionen), die sich dieses Wirtschaftsmodells
bedient.

(Inwieweit religiöse Aspekte einzelner Beteiligter bei ihren
Entscheidungen bzw. Handlungen eine Rolle spielen, ist wohl nicht
ermittelbar). Ich finde aber, wenn man das Thema vom religiösen
Standpunkt aus angeht, gerät man schnell auf den Holzweg.

> -------------------------------

> Vernünftigerweise - und das stellt der Autor vollkommen richtig
> heraus - besteht aber ein gleicher Anspruch aller Bürger auf Chancen
> und Teilhabe am Gesamtreichtum einer Gemeinschaft.
>  Ein Gesellschaftsvertrag, der die Verteilung von Ressourcen regelt
> (wem gehört was, wer darf welche Tätigkeit ausüben, etc...) kann nur
> dann Akzeptanz von allen einfordern, wenn er niemanden übervorteilt.
> Im Vertragsrecht oder BGB wäre von Sittenwidrigkeit die Rede, wenn
> eine der Vertragsparteien offensichtlich benachteiligt wird. Ein
> sittenwidriger Gesellschaftvertrag ist aber genauso nichtig, wie ein
> sittenwidriger Miet- oder Arbeitsvertrag und das bedeutet nichts
> anderes, als dass der übervorteilte Bürger nicht mehr in der Pflicht
> ist, sich an den Gesellschaftvertrag zu halten. 
> Kurz gesagt, er hätte das Recht sich schlicht und einfach zu nehmen,
> was ihm zusteht.

Das wäre nur eine andere Sittenwidrigkeit. "Sich nehmen, was ihm
zusteht" düfte wohl nur ein anderer Begriff für Raub sein. Das eigene
unethische Verhalten mit dem Verweis auf unethisches Verhalten
anderer zu rechtfertigen, ist ein äußerst schwaches Argument, weil es
keine anderen Normen außer der eigenen akzeptiert.

> Zur Verdeutlichung: Der Staat regelt das Berufs- und Geschäftsleben
> bis ins kleinste Detail. Ein Großteil der Regeln verbietet bestimmte
> Tätigkeiten, die es Bürgern ermöglichen würden, ein Einkommen zu
> erzielen, dass ihnen ein würdiges Leben sichert.

Welche Tätigkeiten (und welche Verbote) hast Du da im Sinn?

> Ein Staat, der (zurecht) solche Regeln aufstellt, ist aber
> gleichzeitig in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass diejenigen, denen
> er bestimmte Tätigkeiten verbietet, dennoch die Möglichkeit haben,
> auf andere menschenwürdige Art und Weise ihren Lebensunterhalt zu
> verdienen. Tut er dies nicht, muss er ihnen für die Einschränkung
> ihrer Verdienstmöglichkeit Kompensation leisten. So begründet sich
> das Anrecht auf soziale Sicherung.

> Ein gerechter Gesellschaftsvertrag impliziert also den Anspruch eines
> jeden Bürgers auf einen menschenwürdigen und angemessenen Teil vom
> Kuchen. Er impliziert das Recht auf Arbeit und Einkommen. Scheitert
> der Staat an dieser Aufgabe, dann ist der Gesellschaftsvertrag
> nichtig.

Wo aber kann man das einklagen? Und - gibt das einem das Recht, die
Angelegenheit auf seine eigene Weise, nach eigenem Ermessen zu
regeln? Kann man 
Gesellschaftsrecht durch Individualrecht eretzen? Dann hätten wir so
viele Rechtsauffassungen wie Bürger.

> In einer vernunftgeleiteten Gesellschaft gibt es keine gottgegebenen
> Besitzverhältnisse oder Almosen, sondern gleiche Ansprüche aller, an
> den gemeinsamen Ressourcen.

Es gibt keine vernuftgeleiteten Gesellschaften. Es ist eine alte
Utopie der Philosophen, aber ich sehe in absehbarer Zeit keine Chance
einer Realisierung. Ich wüßte auch nicht, wie das gehen könnte; ist
doch das Handeln des Menschen selbst auch oft irrational.

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