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Geld und Gesellschaft

Lord Chao schrieb am 15. März 2009 06:22

> Wenn ich als
> Spielhöllenbesitzer keine Religionstaler abkzeptieren darf (wer soll
> sowas eigentlich kontrollieren)

Das reguliert sich von selbst. Warum sollte eine Spielhölle
Religions-Taler annehmen, mit denen sie nur die Produkte und
Leistungen dieser Sekte erwerben kann. Nur wenn die Sekte allgemein
begehrte Produkte anbieten könnte, dann wäre dieses Geld auch für
andere etwas wert.

> > Jeder Geldwechsel in eine andere Währung wird nur mit Verlusten
> > möglich sein. 

> Wieso? Niemand sagt, dass du nur Religions-Taler haben darfst. In
> eine elektronische Geldbörse passen Porn-Pesos, Garagen-Gulden,
> Milch-Märker und sogar Liebes-Lira. Und für eine Zeitlang sicher auch
> Euro, Yen, Pfund und Dollar.

Wenn ich keinen Vorteil davon hätte, eine bestimmte Währung zu
benutzen, dann ist diese Währung überflüssig. Der Vorteil des
Religions-Talers besteht darin, dass Religions-Brote für
Sektenmitglieder günstiger zu bekommen sind als wenn sie fremde Brote
oder dieselben Brote in Euros bezahlen. Für den Erwerb eines Autos
sind die Religions-Taler nicht zu gebrauchen. Will die Sekte auch
Autos kaufen, braucht sie Devisen. Oder sie verzichtet auf Autos.

Die Sekte ist ein Extrembeispiel, aber verallgemeinert kann man
sagen, dass spezialisierte Währungen einen Vorteil bieten, der
verloren geht, wenn die Währung etwa in allgemeingültige Währungen
umgetauscht werden. Es sei denn, die spezialisierte Währung
entwickelt einen allgemeingültigen Wert, wie etwa die erwähnte
Microsoft-Aktie.

> > Man benötigt
> > auch die richtige Währung (es sei denn, man nimmt unter Umständen
> > gravierende Umtauschverluste in Kauf). Eine Währung wäre in einer
> > solchen Welt etwas anderes als das, was wir heute darunter verstehen.

> Wie wäre es, wenn du dich von dem Gedanken 'einer Währung'
> verabschiedest? Leute mit etwas mehr Geld haben oft Konten in
> verschiedenen Währungen, und Goldmünzen oder -barren. Das kostet zwar
> mehr für die reine Verwaltung des eigenen Reichtums, bietet aber oft
> extreme Steuerersparnisse.

Was Du beschreibst ist das, was wir heute unter Währung verstehen.
Zugrunde liegt die Vorstellung, das alles einen Preis hat. In einem
neuen System mit beliebig vielen Währungen können aber zusätzliche
Bedingungen hinzu kommen.

> Die derzeitigen 'Umtauschgebühren' für Währungskonversion sind Preise
> für die Dienstleistung (zentraler) Banken. Wenn deine Geldbörse das
> automatisch macht, werden aus 10 Porn-Pesos 20 Religions-Taler, und
> aus 20 Religions-Talern wieder 10 Porn-Peso, usw usf. weil keine
> zentrale Bank beim Tausch absahnt.

So ist das vielleicht bisher. Aber in einem System mit beliebig
vielen Währungen könnten zusätzliche Bedingungen hinzukommen, die den
Umtausch erheblich erschweren.

Beispiel 1: Eine Organisation bietet Alten-Pflege an. Bezahlt wird in
Pflege-Talern, die man nur bekommt, wenn man selbst eine Zeitlang
Altenpflege betreibt oder ähnliche soziale Leistungen erbringt. Der
Pflege-Dienst der Organisation ist auch in Euros bezahlbar, kostet
dann aber sehr viel mehr.

Beispiel 2: Eine religiöse Organisation bietet eine günstige
Alten-Pflege an, die mit Spenden bezuschusst ist. Bezahlt wird in
Harram-Talern, die man bekommt, wenn man aktiv in dieser Organisation
mitarbeitet und bereit ist, fünfmal am Tag zu beten öffentlich zu
beten. Oder man bezahlt teuer mit Euros.

> > In vieler Hinsicht ist unser Zivilisation auf Geld gebaut. 

> Zivilisation ist IMHO auf Wissen aufgebaut. Und auf Kooperation. Geld
> ist lediglich ein Bauwerkzeug, kein Baugrund.

Einen Baugrund gibt es nicht, es gibt nur das gegenseitige Vertrauen.
Wenn das wegfällt, machen sich Menschen das Leben zur Hölle, ein
bodenloser Abgrund kann sich auftun. 
In der ständischen Gesellschaft sind die Regeln religiös legitimiert
und bilden die Grundlage des gegenseitigen Vertrauens. In unserer
bürgerlichen Gesellschaft ersetzen Verträge das religiös motivierte
Vertrauen. Der ursprünglich nur kaufmännische Vertrag wird zum
Vorbild für den Gesellschaftsvertrag. Das Geld ist der allgemein
sichtbare Ausdruck dieses Gesellschaftsvertrags, es ist der
alltäglichste Ausdruck unserer Überzeugung, dass wir alle potentielle
Vertragspartner sind und unsere gegenseitigen Rechte akzeptieren.

> > Die Einführung von vielen verschiedenen Währungen hätte in jedem Fall
> > den Effekt, dass der bisherige öffentliche Raum noch weiter
> > geschwächt wird. 

> Wieso? Wer sagt das?

> > Wenn es viele Währungen gibt, dann werden auch
> > allgemeinverbindliche Regeln fraglich. 

> Welche 'allgemeinverbindliche Regeln' meinst du? Das man sich zum
> Scheissen über ein Loch hockt, zum Beispiel? 

> > (...) halte ich es für nötig, den
> > Blick auch darauf zu richten, was verlorengehen würde. Und sich zu
> > fragen, ob wir darauf wirklich verzichten können.

> Was genau denkst du würde verloren gehen? 

Der folgende Text ist schon etwas älter, den hab ich vor 10 Jahren
geschrieben, als Antwort auf die Frage, wie ich mir das Leben im
nächsten Jahrtausend vorstelle. Der launige Text ist nicht als
Argumentation gedacht, aber als sehr plakative Illustration, wie ich
mir das alles vorstelle, ist er gut geeignet:

Die Welt im Jahr 2020
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