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86 Beiträge seit 19.03.2003

-Ismen in der Praxis

Eiffel schrieb am 29. Juli 2003 16:49

> Historiker sind sich einig, dass es kaum Staaten gab, in denen mit
> Sozialismus wirklich ernst gemacht wurde. Zudem muss man das
> Scheitern analysieren.

Tja, liegt das nun daran, dass es niemand recht versucht hat, oder
dass es einfach wider die Natur des Menschen geht?

> Dass aber Sozialismus
> das Abschaffen von Privateigentum oder vom individuellen Entlöhnen
> zur Folge hätte, ist auf Deinem eigenen Mist gewachsen und hat mit
> der Theorie nichts zu tun. Woher hast Du denn das?

Vielleicht nicht komplett abgeschafft, aber zumindest teilweise. Ein
Beispiel, um meine Denkweise zu erläutern:

Mein Großvater hat in der DDR gelebt, als Bauer. Nach 1945 wurde er
irgendwann enteignet und kam in die LPG. Und wenn er dann mal bei uns
zu Besuch war, hat er so Geschichten erzählt wie: Die Angestellten in
der LPG haben beim Aussäen einfach das halbe Saatgut in der Mitte des
Feldes abgeladen. Sie wurden ja nicht nach Leistung bezahlt sondern
pauschal, und bis man das gesehen hat, weil das Getreide zu wachsen
anfing, war nicht mehr zu ermitteln, wer das gemacht hat - und es war
eh jedem wurscht.

Das meine ich mit der Inkompatibilität von Menschen und Sozialismus.

> Die DDR war genauso sozialistisch wie demokratisch.
> Die DDR war genauso sozialistisch wie die VSA demokratisch.
> Die DDR war genauso demokratisch wie die VSA .

Naja, zwei von drei.

Also ich bin wirklich kein VSA-Fan, aber aufgrund eines recht guten
Kenntnisstands des Lebens der Mehrheit in beiden Systemen würde ich
jederzeit die VSA vorziehen. Abgesehen von bestimmten Perioden
(McCarthy, Bush) gab es dort immer noch mehr Freiheiten.

> Nein, das ist kein anderes Thema. In der Athener Polis waren
> ausschließlich die erwachsenen Männer der alteingesessenen Familien
> stimmberechtigt, die nicht arbeiten mussten. Das ist der wesentliche
> Unterschied! Diese Leute hatten von morgens bis abends nichts anderes
> zu tun, als sich auf der Agora über Politik zu unterhalten. [Ich
> weiß, dass ich übertreibe: Sie haben noch an sportlichen Wettkämpfen
> teilgenommen, das Theater besucht und Orgien gefeiert. Aber wenn es
> nötig war, haben sie alles bis ins Letzte besprochen, weil sie nicht
> durch lästige Dinge wie etwa Geld verdienen abgelenkt wurden.]

Sie haben auch noch Handel getrieben, und zwar nicht wenig, und
Kunstwerke geschaffen und ab und zu ein bisschen Krieg geführt. Also
der reine Müßiggang war das jedenfalls nicht.

>
> Und mit Deiner Bruchrechnung scheint auch etwas daneben gegangen zu
> sein. Kleiner Teil wahlberechtigt in Deutschland? Da bin ich aber
> sehr gespannt, wie Du das ausgerechnet hast.

Kann ich Dir erläutern. Ich habe wie angeführt die für unseren
Wohlstand bzw. für unser ganzes System notwendige bettelarme Masse in
den Entwicklungsländern zu unserer Gesellschaft hinzugerechnet. Das
sind unsere Heloten, nur dass sie halt einige tausend Kilometer weit
weg sitzen. Ist doch auch viel hygienischer und netter anzuschauen,
wer will schon täglich dieses Elend sehen. Dann kaufen wir unseren
Kaffee im Transferladen und gut is'.

>
> > Meine These war, dass Demokratie nur im Kleinen funktioniert, quasi
> > auf der persönlichen Ebene. Selbst auf der Dorfebene, wo immer noch
> > jeder jeden persönlich kennt, fängt es schon an mit der
> > Vetternwirtschaft.
>
> Na super! Demokratie funktioniert also nicht einmal innerhalb einer
> Großfamilie. Wenn ich Dich ernst nehme, komme ich zum Schluss, dass
> Demokratie nur in einem Single-Haushalt funktioniert. Hab ich da
> etwas falsch verstanden?

Nee, leider nicht. :-)

> > Sprich, in der
> > kleinen Gruppe kannst du die Leute nur ganz persönlich bescheißen und
> > ausbeuten, und das wirkt sich viel eher auf deinen eigenen sozialen
> > Status aus als die anonyme Korruption in großen Gebilden.
>
> Das halte ich für ein etwas weltfremdes Bild vom Menschen. Der Grad
> an Kriminalität ist berufsunabhängig. Je gebildeter, umso geschickter
> und desto größer die Dunkelziffer aber auch die Schadenssumme;
> Stichwort: Laborbetrug.

Hab' ich was von Berufen gesagt? Ich sprach davon, dass in kleinen
Gruppen die Asozialität des Einzelnen weit eher auffällt als in
großen Gruppen, und deshalb ein solches Individuum schneller geächtet
wird. Je größer und anonymer die Gruppe, desto weniger muß ein
Asozialer die Ächtung fürchten.

> Im kleinen Umfeld lohnt sich der Betrug meistens nicht, kommt aber
> auch da vor, verursacht hingegen meistens kleinere Schäden.

Wenn jeder jeden genau kennt, dann sind die Asozialen doch schneller
erkannt und werden ausgegrenzt. In einer Buschmann-Sippe kann man es
sich nicht wirklich erlauben, auf Kosten der anderen zu leben, da
wird einem ziemlich schnell der Brotkorb höher gehängt.

> Umgekehrt sehe ich in Ländern des Balkans, Afrikas oder
> Lateinamerikas keine bessere Situation bzgl. Korruption, obwohl dort
> oft keine großen organisatorischen Strukturen vorhanden sind. Im
> Gegenteil: In manchen schwarzafrikanischen Ländern beutet eine kleine
> Clique das Land praktisch im Alleingang aus.

Könnten sie aber nicht ohne die vielen Mitläufer und Nutznießer.

> > Die Evolution hat dem Menschen leider die Tendenz mitgegeben, Führern
> > hinterherzulaufen, und diese Tendenz führt fatalerweise zu einer
> > Arschlochaffinität, die die Menschheit mit schöner Regelmäßigkeit ins
> > Verderben stürzt.
>
> Selbst wenn man solche Tendenzen auf die Evolution abschieben möchte,
> so zeigt doch die Lernfähigkeit des Menschen, dass diese Tendenzen
> keine Rolle spielen. Die Erziehung ist in diesem Fall alles. Man muss
> also die von mir diagnostizierten Ausreden mit einer guten
> Organisation und einer guten Erziehung kontern.

Da sind wir grundsätzlich verschiedener Meinung darüber, wieviel man
Menschen durch Erziehung verändern kann. Lies' mal Hoimar von
Dithfurth zu dem Thema. "Im Herzen noch Neanderthaler, in der Hand
die Atombombe." Unsere Urinstinkte leiten den Großteil unseres
Handelns und nur Wenige schaffen es wirklich, sich davon zu lösen.

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