Je nach Situation kann (fast) jeder Mensch egoistisch, materialistisch, oder sogar psychopathisch agieren. Allerdings passiert das meist in Situationen, die durch einen Mangel oder direkte Bedrohung charakterisiert sind, dann geht es ums Überleben. In Situationen, die davon nicht geprägt sind, verhalten sich Menschen meistens hilfsbereit, einfühlend und freundlich. Für dieser Erkenntnis wäre Lebenserfahrung ausreichend gewesen.
Was ist also mit Menschen los, die Egoismus als Tugend stilisieren? Es ist ja nicht so, als könne mensch einfach mal nebenbei entscheiden, ein Egoist zu werden oder nicht. Menschen, die ihr Leben als homo oeconomicus gestalten, müssen sich in ihrer Gefühlswelt permanent in einer bedrohlichen Mangelsituation befinden. Hierzu empfehle ich Hans-Joachim Maaz oder Arno Gruen, die beide ganz wunderbar dargelegt haben, wie entsprechende frühkindliche Entwicklungsstörungen sich auf die Gesellschaft auswirken.
Wir haben also eine kleine Minderheit von Leuten, die innerlich von frühkindlichem Hass durch Enttäuschung, Angst durch Mangel und Verachtung durch Nichtbeachtung so angefüllt sind, dass sie nur dann kurze Augenblicke von Vorfreude (auf Erfolg) empfinden können, wenn sie in der Lage sind, anderen etwas wegnehmen zu können. Diese Menschen haben uns unser Wirtschaftssystem beschert, denn es basiert gerade im Schuldgeldsystem einzig und allein darauf, sich ständig gegenseitig etwas wegzunehmen, am besten durch Täuschung und Betrug, notfalls aber mit roher Gewalt. Damit zwingen diese Leute andere, vielleicht normal empathische Menschen, dazu, sich ebenfalls im Rahmen ihrer Möglichkeiten entweder wie Psychopathen aufzuführen oder sich wie Huren (Arbeiter) von den Psychopathen ausbeuten zu lassen oder eben für alle sichtbar (Drogen, Alkohol, Depression) am Leben zu scheitern.
Da die meisten Menschen aber keine Psychopathen sind, erledigt das abstrakte Wirtschaftssystem es für sie: Massentierhaltung, Massenproduktion, Massenkonsum. Dass da kein Mensch mit glücklich werden kann, sollte mehr als deutlich sein, denn es ist ein Leben in nicht artgerechter Käfighaltung. Der Virus zeigt auf, welche Länder noch funktionierende Rest-Zivilgesellschaften mit Fähigkeit zur Kooperation haben und welche nicht. Portugal z.B., und sogar Deutschland, während Frankreich, Spanien und Italien offenbar ganz schön abgewirtschaftet haben (oder wurden). Im Falle Britanniens und Amerikas ist der lächerliche Umgang mit der Situation eigentlich keine Überraschung, denn die angelsächsische ist eine durch und durch psychopathische, auf Wettbewerb und Konkurrenz basierende Kultur, in der der soziale Wert des Einzelnen vor allem daran bemessen wird, wie geschickt er anderen etwas wegnehmen konnte. Im Falle Deutschlands war ich allerdings schon überrascht, denn ich hätte die Auswirkungen von Corona hier viel schlimmer erwartet und muss gestehen, ich bin ein wenig stolz auf die disziplinierten Deutschen, die nach meiner persönlichen Erfahrung die Situation mit dem nötigen Respekt und Humor nehmen. Aber das nur am Rande.
Ich finde solche wissenschaftlichen Studien vom Paradigma her falsch angegangen. Es wird stillschweigend angenommen, dass das Individuum sich irgendwie entscheidet, vorwiegend egoistisch oder vorwiegend altruistisch zu sein und dass sich daraus dann die negativen bzw. positiven Effekte ergeben. Korrelation vs. Kausalität. Der Mensch ist leider in der Lage, sich seine Realität (fast) komplett unabhängig von der Realität zu bauen. Alles, was er dazu tun muss, ist einen wesentlichen Teil seiner Emotionen abzuspalten und als ihm fremd zu empfinden. Das ist natürlich Hirnfick, aber der Mensch empfindet diese inneren Emotionen dann nicht mehr als eigenes Gefühl, sondern als abstrakte, äußere Gegebenheiten. Da Emotionen im wesentlichen kognitive Geisteszustände sind, aus denen sich der Mensch mit seinem Verstand dann wohlfeile Erklärungen basteln kann, bastelt sich der Mensch eine in sich logisch erscheinende Realität, in der aber sein Verhalten alles andere als logisch, sondern dysfunktional und für ihn selbst und andere schädlich ist. Das ist so, weil er einen Teil seiner Emotionen nicht mehr innerlich erleben kann, sondern sie als "Außen" (die "Anderen") wahrnimmt.
Er nimmt seine Angst, Wut, Selbstmitleid, Trauer, Schuld oder Scham dann nicht mehr als eigene Gefühle war, sondern externalisiert sie als abstrakte Realität im Außen. Und damit beginnen dann die ganzen Probleme und Neurosen, die wir Gesellschaft, Kultur oder Wirtschaft nennen; auch Wissenschaft ist davon nicht befreit, auch wenn sie gerne so tut, als sei sie es. Jede Religion, jede Ideologie und auch jedes wissenschaftliche Paradigma ist immer auch Ausdruck einer solchen Abspaltung. Die abrahamitischen Religionen z.B. sind Ausdruck der Abspaltung von Schuld gegenüber einer in den Himmel projizierten Vaterfigur bei gleichzeitiger Verachtung der Mutter (Erde, die wir uns untertan machen sollen). Viele moderne (gerade liberale) Ideologien folgen stets einem ähnlichen Muster: man versucht Karmapunkte zu sammeln, indem man sich gegenüber einem projizierten Ideal nicht schuldig macht (z.B. Fleisch essen oder Diesel fahren). Aus dieser Nichtschuldigkeit heraus ergibt sich natürlich eine herrliche moralische Überlegenheit, mit der die Verachtung und der Selbsthass, die sich eigentlich hinter der Schuld verbergen, an anderen abreagiert werden kann. Die Christen haben eine lange Geschichte von Judenhass als Abreaktion oder von Genozid durch Bekehrung und für viele Liberale war der Bombenkrieg in Afghanistan ja total bombe, weil es ja darum ging, die armen Frauen vor dem Patriarchat (den "Anderen") zu beschützen. Dieses Spiel aus Schuld und Verachtung ist ein typisches Paar emotionaler Abspaltung, die in den gesellschaftlichen Konformismus führt. Jene, die wirklich psychopathisch nach Macht streben, haben so ein leichtes Spiel, denn es braucht nur ein Ideal (Gut) und ein Feindbild (Böse), um Menschen in das psychopathische Spiel von Macht und Dominanz einzubinden. Die rennen dann schon freiwillig in den Krieg, bzw. in den täglichen Konkurrenzkampf mit Konsum als selbstvergessene Belohnung. Das andere große Gefühlspaar zum menschlichen Konformismus besteht aus Angst und Selbstmitleid, z.B. die Angst vor Überfremdung gepaart mit "ich arme Wurst im Plattenbau" oder die grandiose Paranoia der Zionisten, die immer genau einen Meter vom Eisenbahnwagon ins Lager entfernt sind, wenn sie nicht eine Mauer bauen und das Land dahinter bombardieren.
Im Kapitalismus haben wir diese abgespaltenen Gefühlspaare allerdings in einen noch viel umfassenderen Käfig gepackt: Konsum und Narzissmus. Beispiel Tourismus: nachdem wir die Zinsen anderer Leute erwirtschaftet haben (Arbeit), erwirtschaften wir weitere Zinsen, indem wir uns auf Kreuzfahrtschiffen oder in Hotels zwei Wochen lang völlig hektisch wie degenerierte Prinzen und Prinzessinnen aufführen: wir belohnen Knechtschaft mit zeitlich begrenztem Narzissmus. Aber auch im Alltag versuchen wir die Nichtigkeit und Austauschbarkeit unserer Existenz zu verbergen, indem wir bemüht sind, uns mit Waren aufzuwerten. Unser gesamtes Wirtschaftssystem beruht darauf, dass Frauen Handtaschen und Frisuren, Männer Motorräder und gepflegte Bärte brauchen, um "sich" spüren zu können. Sinnvoll ist das nicht, aber solange Konsum so wunderbar einher geht mit den Paaren Schuld und Verachtung und Angst und Selbstmitleid, werden wir die Falle aus Arbeit und Konsum niemals erkennen können. Selbst Altruismus ist in der Konsumwelt nur eine Ware.
Übrigens, das englische Wort für wollen oder wünschen, to want, stammt vom altnorwegischen vant ab und das bedeutet sowohl wollen als auch fehlen (eng: to lack). Das ist deswegen interessant, weil jeder Wunsch damit Ausdruck eines Mangels ist. Die Konsumkultur funktioniert nur durch Werbung, die viele Bedürfnisse erst wecken soll. Kein geistig gesunder Mensch würde sich freiwillig auf ein Kreuzfahrtschiff quetschen, aber die Suggestion durch Werbung lässt ihn die Enge und den sozialen Stress auf so einer Kreuzfahrt gar nicht bemerken. Das Problem dabei, ist das Werbung quasi als Nebenwirkung oder Entropie Wünsche nur durch Erzeugung von emotionalem Mangel erzeugen kann. Werbung zielt dabei meistens auf soziale Mängel ab, z.B. soziale Unsicherheit, sexueller Frustration, Einsamkeit, Angst etc. Damit verstärkt, erzeugt oder festigt unsere Konsumkultur unsere inneren Mängel. Damit wären wir wieder am Anfang, denn nur durch emotionale Mängel beginnen Menschen, sich egoistisch zu verhalten.
Das zu durchbrechen kann nur, wer bereit ist, seine eigenen emotionalen Mängel zu erkennen. Genau daran scheitern aber fast alle kulturellen, sozialen oder politischen Maßnahmen und Überlegungen. Besonders fatal wäre es, wenn man wie Studien und Artikel suggerieren Altruismus nun als Ware zu benutzen, um irgendwelche Mängel auszugleichen. Dann schleudert der amerikanische Christ einmal im Jahr Truthahn auf Obdachlose, lutscht der deutsche Kunde auf veganen Gummibärchen herum oder rettet Hasenheimat mit Mineralwasser. Das emotionale Konstrukt bleibt aber bestehen. Erst wenn wir unsere Konsumkultur unterbrechen, können wir uns emotional miteinander wieder auseinandersetzen. Die größte Chance, die Corona uns bietet, ist vielleicht zu bemerken, wie irrsinnig dieses viel zu schnelle Hamsterrad ist, welches wir Wirtschaft nennen, und wie das einfache Leben gerade in seiner Einfachheit viel schöner ist. Allerdings werden die meisten ganz schnell wieder im Rad um die Wette rennen und dabei auf ihr Telefon starren, da bin ich mir sicher.
Aber vielleicht wird dem einen oder der anderen ja plötzlich klar, welche Bedeutung Entschleunigung hat.