Wie man aus Gefängnissen weiss, ist dort die sexuelle Not gross genug, um zu gleichgeschlechtlichem Sex zu führen. Beim "Männerverein" Katholische Kirche ist das nicht viel anders. Von Carmelo Abbate (geboren in Castelbuono (Sizilien), preisgekrönter italienischer Enthüllungsjournalist bei der Wochenzeitung Panorama, der sich immer wieder undercover in die sozialen Brennpunkte Italiens begibt) gibt es seit 2011 (in der deutschen Übersetzung seit 2012) ein Buch über Schwule im Vatikan: Sex und der Vatikan, Ein Bericht über die verborgenen Seiten der Kirche (ISBN: 978-3-641-07520-0).
Damals begleitete er einen Informanten, den er als seinen Lebenspartner ausgab, drei Wochen lang in der Schwulenszene Roms. Dabei erlebte und dokumentierte er, wie katholische Priester nachts ihr Zölibat brachen und anderntags wieder die Messe zelebrierten. »Le notti brave dei preti gay« (»Die wilden Nächte der homosexuellen Priester«) heißt der Bericht, der mit seinen expliziten Fotos und Videos nicht nur im Vatikan für Aufsehen sorgte. Internationale Medien wie SPIEGEL, ORF, Newsweek, Washington Post, CBS, Guardian, BBC, France 2, El Mundo, Pravda und sogar das iranische Fernsehen berichteten über die Reportage. »Die Kirche bezeichnete die Vorfälle damals als Einzelfälle«, so Carmelo Abbate. »Ich wollte herausfinden, ob das stimmt, und habe festgestellt, dass dieses Phänomen viel, viel tiefer geht.« Für sein Buch weitete er seine Recherchen deshalb auf andere italienische Städte und bald auch über die Grenzen Italiens hinaus aus, vertiefte das, was er im Rahmen seiner Reportage bereits entdeckt hatte: Der Zölibat funktioniert nicht und hat auch nie funktioniert. Das Ergebnis seiner engagierten Recherchen ist die vorliegende Zusammenstellung von Begegnungen, Gesprächen, schmerzhaften und expliziten Erfahrungen.
Sehr zu empfehlen, will man einen Blick hinter die Heuchelei der Frömmigkeit werfen. Diese Heuchelei gab es auch schon in vergangenen Jahrhunderten, wie Johannes Seiffert in seinem Buch Der Vatikan - Sex, Lügen und Verbrechen (ISBN 978-3-86789-754-9) sehr anschaulich schreibt:
Ein Papst, der sich Prostituierte zu Dutzenden in den Palast bestellt? Der sie nackt in seinem Schlafzimmer tanzen lässt? Der mit ihnen die perversesten und brutalsten Orgien feiert? Dessen Körper am Ende seines Lebens von Geschlechtskrankheiten und Völlerei zu einer stinkenden unförmigen Fleischmasse angeschwollen ist, dem aber dennoch weiterhin Huren zugeführt werden müssen? Ein Papst, der die eigenen Kinder zu hohen Würdenträgern im Vatikan ernennt? Ein Papst, der an der Spitze eines Söldnerheeres in den Krieg zieht? Ein Papst, der Millionen dafür ausgibt, zusammen mit Geheimdiensten Regierungen und ein gesamtes weltpolitisches Bündnissystem zu stürzen, und der sich dabei auf das zu Zehntausenden zählende Heer der »Geistlichen« vor Ort stützen kann? Unvorstellbar, meinen Sie? Und doch nur allzu reale Beispiele aus der Geschichte der Institution »Katholische Kirche« während der letzten zwei Jahrtausende. Die Päpste standen und stehen dabei einer Institution vor, die, wie zu zeigen sein wird, auf einem Lügengebäude aufgebaut ist, auf gefälschten Dokumenten und »redigierten« Texten in der sogenannten Bibel. Die Figur des historischen Jesus – falls es ihn jemals wirklich gab – ist bis zur Unkenntlichkeit entstellt, seine zentralen Thesen geradezu ins Gegenteil verkehrt worden. Liebe! Demut! Armut! Gerechtigkeit! Solidarität! – Wenn man sich diese urchristlichen Ideale vor Augen führt, wird der eklatante Widerspruch dazu, in dem die heutige Amtskirche mit dem Papst an der Spitze steht, umso deutlicher. ... Was wir heute unter diesem Namen vor uns haben, ist eine straff autokratisch organisierte, weltumspannende, nach wie vor mächtige Kultgemeinschaft, deren führende Mitglieder einer abstrusen Ideologie anhängen, und nicht zuletzt einer völlig verqueren Sexualmoral.
Auch dieses Werk kann ich dem interessierten Leser nur wärmstens empfehlen. Der Autor beschreibt die Intrigen, Machenschaften und Obszönitäten beginnend mit Paulus bis zu Jorge Mario Bergoglio SJ (Papst als Franziskus I. seit 2013).
David Berger hat 2010 das Buch Der heilige Schein - Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche veröffentlicht (ISBN 978-3-8437-0770-1). Darin deckt Berger das perfide Unterdrückungssystem scheinheiliger Kirchenoberer auf. Er erzählt, warum so viele Schwule sich von einer Institution angezogen fühlen, die nach außen Homosexualität verteufelt, und warum Gewalt und Missbrauch in der Kirche so viel Platz einnehmen konnten. (und meiner Überzeugung nach noch immer einnehmen):
Eines der ersten Dokumente, das Joseph Ratzinger als Papst im Sommer 2005 unterschrieb, hatte er schon viele Monate zuvor in der Glaubenskongregation federführend mit vorbereitet. In dem Dokument mit dem sperrigen Titel »Instruktion über Kriterien zur Berufungsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen im Hinblick auf ihre Zulassung für das Priesteramt und zu den heiligen Weihen« stellt der Vatikan »mit aller Klarheit« fest, dass die Kirche »jene nicht für das Priesterseminar und zu den heiligen Weihen zulassen kann, die Homosexualität praktizieren, tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben oder eine sogenannte homosexuelle Kultur unterstützen«.
In den letzten 20 Jahren habe ich viele Bücher über die katholische Kirche und über den Vatikan gelesen, immer wieder mal, wenn mir eines zwischen die Finger kam. Mein Eindruck: Es handelt sich beim Christentum, wie es von der katholischen Kirche vertreten wird, um einen wilden und unmenschlichen Kult, der es an Heuchelei, Verlogenheit und Gewissenlosigkeit getrost mit der Politikerkaste aufnehmen kann. Eine kleine Auswahl:
Corrado Augias: Die Geheimnisse des Vatikan - Eine andere Geschichte der Papststadt (2011)
Mit Corrado Augias betritt der Leser den Vatikan durch die Hintertür: Der Autor führt ihn in die Privatgemächer der Päpste, findet in dunklen Winkeln Spuren vergangener Skandale, durchleuchtet ungeklärte Vorfälle bei der Schweizergarde und der Vatikanbank, besucht die Zentrale des Opus Dei, fragt nach der Rolle des Papstes während des Zweiten Weltkriegs und entdeckt die geheime Botschaft großer Kunstwerke.
Otto Betz & Rainer Riesner: Jesus, Qumran und der Vatikan - Klarstellungen (1993)
Kai Meyer: Das Haus des Daedalus (2000 über Verschwörungen im Vatikan)
Volker Reinhardt: Luther, der Ketzer - Rom und die Reformation (2016)