Für Polen z. B. konstatieren die Autoren - zumindest als Gefahr - einen Rückfall in den Autoritarismus. Schaut man ohne Propagandabrille genauer hin, stellt man aber fest, dass Polen im Vergleich zur tristen "Konsensdemokratie" Deutschlands über eine sehr lebendige politische Kultur verfügt.
Der Grossteil der Medien in Polen ist regierungskritisch, darunter die drei wichtigsten überregionalen Zeitungen, Gazeta Wyborcza, Rzeczpospolita und die Boulevard-Zeitung Fakt sowie die beiden privaten TV-Sender mit Vollprogramm, TV-N und Polsat. Man vergleiche das mal mit der verkümmerten Medienlandschaft und ihren Informationsblockaden in Deutschland.
Die "liberale" parlamentarische Opposition in Polen, die die zweite Parlamentskammer, den Senat, kontrolliert, hat gegenüber dem Regierungsbündnis eine "totale Opposition" ausgerufen. Man schenkt sich nichts. Ein inniges Techtelmechtel zwischen den beiden grossen politischen Lagern bis hin zur gemeinsamen Regierungsbildung gibt es in Polen nicht.
Für die Korruptionsbekämpfung gibt es in Polen mit der CBA in Polen eine eigene, mit geheimdienstlichen Rechten (was nicht unproblematisch ist) ausgestattete Ermittlungsbehörde. Während der Korruptionsskandal um Frau v. d. Leyen in Deutschland inzwischen subtil unter den Teppich gekehrt wurde, wäre ihre politische Karriere in Polen längst beendet.
Während Brandstätter - unwissend, den Mainstream nachplappernd - für Polen den "Rückfall in autoritäre Strukturen" festgestellt haben will, sieht übrigens der Bremer Soziologe Marek Krasnodebski sein Heimatland eher an der Schwelle zur Anarchie als zum Autoritarismus.
P.S.:
1. Die ökonomischen u. politischen Hintergründe des Konflikts der EU mit Polen und Ungarn habe ich hier mehrfach dargestellt.
2. Als analytisch angelegte Alternative zu "Europa - ein Weckruf" empfehle ich das Buch "Europa - ein Nachruf" von Hannes Hofbauer.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (11.12.2020 07:45).