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  • TomGard

mehr als 1000 Beiträge seit 04.03.2011

Eh' wurscht

"Insofern ist Alexander Häusler zuzustimmen, der meinte, die größte
Herausforderung für die europäische Linke sei es, ein
Identitätsmodell zu entwickeln, das einen Gegenentwurf ... usw."

Ende der 90ger, ich lebte noch in Berlin, hob dort eine Fülle von
Podiumsdiskussionen, Vorträgen und anderen Werbeveranstaltungen an,
die mehr oder minder direkt von der Popularisierung des "neuen" alten
ciceronischen Begriffs des *Untertanen* angeregt waren, den Negri,
Hardt, und eine Reihe zwielichtiger Gestalten im Vorgriff auf die
Veröffentlichung von "Empire" unter die Leute brachten: *Multitude*.

Bei Cicero entstammte der wortgleiche Ausdruck für die *römische
Bürgerschaft* der militärisch, tribal und patriarchal geschaffenen
Realtität einer *urbanen Zwangsgemeinschaft*, die römische
Kriegsherren aus den umgebenden Ländereien ausgehoben hatten, und
diese "Basisversion" eines *nicht länger* auf tribale Genealogie und
GEschichte zu gründenden völkischen Herrschaftsbegriffes ist -
"selbstverständlich" möchte ich sagen - die rationellste Variante.

Für Spinoza - der Buchdruck hatte die Funktionseliten ermächtigt und
verbreitert, Bauernkriege und Reformation hatten die Re-Urbanisierung
Nordwesteuropas unumkehrbar gemacht - ist "Multitude" folgerichtig
kein juristischer und *ökonomischer* ("Nutzensgemeinschaft") Begriff
mehr, sondern die Fata Morgana eines über den Individuen und in ihnen
wesenden "Geistes", und nur eine Generation später griff folgerichtig
Thomas Hobbes die "Multitude" auf, um daraus einen Kampfbegriff der
(Staats-) Bürgerschaft, einen bürgerlichen "Geist" im spinozischen
Sinne eingemeindend, gegen die absolutistische Untertänigkeit zu
setzen.

Mit "linken" Theorien, mit Kritik des und Gegnerschaft gegen
Kapitalismus, mit Antikolonialismus und Antiimperialismus hat der
Begriff "Multitude" nicht nur historisch rein gar nichts am Hut.
Aphoristisch - für analytische Argumentation ist hier nicht der Platz
- wollte ich diese "Multitude" einen völkischen Spiegel imperialer
Hegemonialität nennen. Gegen den *übergeordneten* Volksbegriff, der
Unterordnung, Opferung, Selbstaufgabe verlangt, verlangt die
"Multitude" *Eingemeindung* - ganz wie das Imperium selbst.

Seinerzeit in Berlin gab es zumindest stellenweise heftigen
Widerstand gegen etwas, was wie eine zentral gesteuerte Kampagne zur
Auflage von "Identitäts"-Politiken und - Strategien quer durch alle
gesellschaftlichen Institute aussah, wie eine umfassende
*Neubestimmung des Untertanen* von oben und "unten" - wobei ich mit
"Unten" selbstveständlich den Verdrängungswettbewerb der
Elitezöglinge gegen ihre leiblichen und geistigen Eltern meine ...

Da gab es noch etliche Leute, die argumentierten, eine neue
*Entität*, gesetzt zwischen "Ich" und "Welt"- heiße sie nun "Gott",
"Volk", "Bürgerschaft", "Humanitas", "Zivilgesellschaft", (die 
wahrlich post-moderne Gestalt) PSYCHE oder "postpost..." Multitude -
um beide Seiten hübsch artig in ideelle Kohäsion zu schmieden, sei
buchstäblich das allerletzte, was Leute bräuchten, die durch rasant
wachsende *Kosten der Freiheit* im Gefolge imperialer Hegemonialität
in *Unruhe* versetzt wurden. 
An Pillen und Dope aller Art hat es zu dieser Zeit - im Unterschied
zu den Dekaden zuvor - ja nun wahrlich nicht gefehlt, dafür brauchte
es keine "Identitäten" ...

Ob sich solcher Widerstand heute *überhaupt* noch irgendwo öffentlich
regt?
Außer bei TomGard und wenigen weiteren Verrückten, denen man die
Klinik empfielt - versteht sich. k.A.

Eh' wurscht. 

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