Die Russen scheinen sich mehr und mehr in den Krieg reinzufinden
Der Anspruch der Russen war ursprünglich, den "failed state" Ukraine innerhalb weniger Tage oder Wochen vollständig niederzuwerfen und zu "demilitarisieren". Deswegen auch die Erzählung von der "Spezialoperation", an der Moskau so eisern festhält. Und nicht wenige, u.a. auch die Amerikaner, die eilig alle ihre Leute aus dem Land schafften, haben das der russischen Armee auch zugetraut.
Zur Zeit kontrolliert Russland nicht einmal die einst feierlich annektierten Gebiete vollständig. Die letzte erfolgreiche Offensivoperation der russischen Armee (Lyssytschansk) liegt über ein Jahr zurück. Bachmut zählt nicht, weil es von Wagner-Söldnern erobert wurde. Die russische Armee hat sich hinter Minengürteln und Befestigungsanlagen verschanzt und hat ihre "befreiten" Gebiete in eine von Befestigungsbauwerken, Minengürteln und zerschossenen Dörfern durchsetzen Todesstreifen verwandelt. Das reicht vielleicht, um von den Ukrainern nicht aus dem Land gejagt zu werden. Aber von dem angestrebten leichten Sieg wie auf der Krim ist Russland meilenweit entfernt. Große Zugewinne hatte vor allem die NATO, die zwei strategisch wichtige und militärisch starke neue Mitglieder aufnehmen konnte.
Weiterhin wird die russische Armee von einer völlig inkompetenten Führung befehligt, weil jeder erfolgreiche Heerführer eine Gefahr für Putin wäre, wie das Beispiel Prigoschin zeigt. Der Umgang mit den eigenen Soldaten ist von Anfang an von Unaufrichtigkeit und Lügen gekennzeichnet. Probleme dürfen nicht angesprochen werden, entscheidend ist die Erhaltung von Putins Macht, dafür werden zehntausende Soldaten verheizt. Kritik ist nicht erwünscht. Zuletzt erwischte es den beliebten General Popov, den Kommandeur der 58. Armee, die im Raum Saporischschja kämpft. Der äußerte sich in einer Audiobotschaft zu seiner Absetzung:
"Es war eine schwierige Situation mit der Hierarchie entstanden. Ich hatte die Wahl, entweder zu schweigen und Angst zu haben und das zu sagen, was sie hören wollten, oder die Dinge so zu benennen, wie sie sind. In Eurem Namen, im Namen aller gefallenen Kameraden, hatte ich nicht das Recht zu lügen. Deshalb habe ich alle Probleme benannt, die es heute in der Armee in Bezug auf Einsätze und Versorgung gibt. Ich wies auf die wichtigste Tragödie des modernen Krieges hin - das Fehlen von Gegenfeuer, das Fehlen von Artillerieaufklärungsstationen und die massenhaften Verluste und Verletzungen unserer Brüder durch die feindliche Artillerie.
Ich habe auch eine Reihe anderer Probleme angesprochen und sie auf höchster Ebene zum Ausdruck gebracht, und zwar offen und sehr brutal. Deshalb spürten die Vorgesetzten wahrscheinlich eine gewisse Gefahr in mir und stellten sofort, an einem Tag, einen Befehl an den Verteidigungsminister aus und wurden mich los.
Wie viele Regiments- und Divisionskommandeure heute sagten, ist unsere Armee nicht an der Front eingebrochen, sondern unser oberster Befehlshaber ist uns in den Rücken gefallen und hat so die Armee in der schwierigsten Zeit heimtückisch enthauptet."
Wenn du das mit "in den Krieg hineinfinden" meinst, dann stimme ich zu.