Die Offensive soll jetzt schon gescheitert sein?
Aktuell fährt die ukrainische Armee in der Südukraine eine Strategie wie 2022 in West-Cherson: Bewusst langsames, kräfteschonendes Vorrücken plus massives Abnutzungsfeuer gegen feindliche Stellungen und Logistik.
In West-Cherson war das bekanntermaßen erfolgreich. In der Südukraine sind die russischen Stellungen und Minenfelder zwar viel mächtiger. Dafür ist die Logisitik wesentlich verwundbarer - fast alles läuft über die Krim-Brücken, die die Ukrainer immer intensiver beschießen. Aktuell testen die Ukrainer eigene, improvisierte Minenräumfahrzeuge, die vielleicht bald in größerer Zahl vorhanden sind. Wir werden sehen, ob die russischen Minenfelder in einem Monat noch ein so großes Hindernis sein werden
In West-Cherson dauerte es vier Monate (August - November) bis die Abnutzungstaktik zum Erfolg geführt hat. Aktuell hat die Ukraine Manpower und Equipment um diese Kampfweise noch monatelang durchzuhalten.
Also: abwarten.
Ansonsten: Das Durchblättern russischer Waffen-Werbekataloge ist keine hinreichende Analyse der Schlachtfeldsituation. Tatsächlich ist die Effektivität vieler dieser Systeme ziemlich fragwürdig, z.B. die erwähnten Kondor-FKA Radar-Aufklärungs-Satelliten, siehe:
https://www.welt.de/politik/ausland/plus245934372/Russland-Praezise-Daten-fuer-den-Raketen-Terror-So-gut-sind-Putins-neue-Ukraine-Satelliten.html
Vor allem aber muss man muss die Fähigkeiten der Russen in Relation zu den Fähigkeiten der Ukrainer setzen.
Ein gutes Beispiel ist der Abschnitt "Befestigte Stellungen, überlegene Artillerie und lückenlose Aufklärung", wo der Autor die Stärke des russischen Verteidigungssystems und der Artilleriekräfte beschreibt und das als Grund für das "Scheitern" der Gegenoffensive ausgibt.
Als Quellen-Angabe verlinkt er dafür einen Artikel aus dem Economist. Dieser trägt den Titel: "Russia´s Army Is Learning On The Battlefield". Der Untertitel lautet: "A new report shows how its tactics are improving. Ukraine can still beat it."
Die Ukraine kann die verbesserten russischen Systeme also doch überwinden? Aber über diesen Punkt, der eigentlich Langes ganze Argumentation in Frage stellt, geht er einfach hinweg.
Der Artikel endete mit der Empfehlung: "Europa wäre gut beraten, die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges ernst zu nehmen, die Nato-Osterweiterung als Fehler zu betrachten und auf Verhandlungen mit Russland zu setzen."
Was er übersieht: Es ist seit ca. 2005 Russland, dass Verhandlungen sabotiert hat, nicht die NATO. Russland hat die NATO-Osterweiterung 1997 in der NATO-Russland-Grundakte prinzipiell anerkannt - im Austausch für die Einrichtung eines gesamteuropäischen Rüstungskontrollregimes, dass Russland einschließt. Die Grundlage für ein solches System wurde mit dem A-KSE-Vertrag von 1999 in Istanbul komplett fertig verhandelt. Der Vertrag enthielt ausgedehnte Stationierungsbegrenzungen für Truppen und kritische Waffensysteme aller russischen Nachbarländer - auch für die Ukraine, auch im Fall eines NATO-Beitritts.
2007 suspendierte Moskau den Vertrag jedoch plötzlich. Putin wollte nicht mehr, dass eine neue russische Großmachtrolle durch die wechselseitigen Rüstungsbegrenzungen beschnitten wurde, weshalb er den völkerrechtlich längst abgesegneten Vertrag plötzlich neu verhandelt wissen wollte.
Nach der russischen Aggression von 2014 musste auch die Ukraine gezwungenermaßen aus dem AKSE-Vertrag austreten. Und auch erst DANACH gab es in der ukrainischen Politik eine deutliche Mehrheit für einen NATO-Beitritt.
Die primäre Ursache für das Scheitern von Verhandlungen war primär Putins Großmachtpolitik - NICHT die NATO-Osterweiterung.
Solange die Linke diesen Fehler in ihrer Analyse der westlichen Russland-Politik nicht einsieht, wird sie auch ihre verzerrte Wahrnehmung des Ukraine-Krieges nicht korrigieren können.
Und überhaupt: Warum sind linke Medien eigentlich standig so wild darauf erpicht, möglichst schnell das Scheitern der ukrainischen Gegen-Offensive zu verkünden? Weil sie seit Kriegsbeginn propagieren, die Ukraine könne/dürfe nicht gewinnen. Und sie können es einfach nicht erwarten endlich zu rufen: "Wir habens ja gleich gesagt!"
Das menschliche Ego ist allerdings ein schlechter Berater bei sachlichen militärischen Analysen.