Mir ist die Stilisierung von 'Bellizist:innen' versus 'Antimilitarist:innen' echt too much. Der Duktus, man und frau habe eine Meinung, die gut und wahr sei, aber überhaupt nicht beachtet würde (heulheul), während die Haltung Anderer, die wegen erfolgreicher Propaganda zur Mehrheitsmeinung geworden wäre, ganz furchtbar böse sei, wird der Sachlage nicht gerecht.
Aus meiner Sicht gibt es in Deutschland und der EU wohl nur sehr wenig üble Kriegstreiber, die mir nicht bekannt sind. Wer hat sich denn einen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gewünscht oder findet Kriege zur Durchsetzung von Interessen generell voll ok? Der Begriff 'Bellizist:in' verdreht diese Tatsache.
Aus meiner Sicht wurden in der Vergangenheit durch die EU Fehler gemacht, dazu zähle ich das ökonomische entweder-oder in den Verhandlungsergebnissen von EU-Ukraine-Russland 2013, die auch zu den Maidanprotesten geführt haben.
Diese Fehler haben jedoch keinen kriegerischen Hintergrund, sie wurden nicht begangen, um Kriege zu provozieren, die Hintergründe sind von anderer, komplexer Art.
Einer antimilitaristische Haltung stehe ich durchaus respektvoll gegenüber, sie ist weder 'teuflisch' noch sonst grundsätzlich verabscheuungswürdig. Im Russland-Ukraine-Krieg sehe ich sie allerdings derzeit geeignet. Wenn ich dafür die Gründe aufzähle, erhalte ich aggressive bis überhebliche Antworten. In meinen Augen führen die selbsternannten Antimilitaristen einen seltsamen Diskurskrieg gegen Meinungen, die in der gegebenen Situation militärische Optionen nicht grundsätzlich ausschließen.
Noch 2019 meinte Macron, die NATO wäre tot. Der Kreml begann seinen Angriffskrieg dann mit imperialistischen Blut-und-Boden-Argumenten des 19. Jahrhunderts, die die UN-Charta komplett missachtete, was von z.B. Wagenknecht als Führungsfigur linker Antimilitarist:innen bagatellisiert wurde. Damit kann ich nichts anfangen. Ich stelle fest, dass die Bevölkerungen in etlichen europäischen Staaten, wie z.B. das Baltikum, Skandinavien und viele weitere mehr, durch die russische Kriegstreiberei extrem bedroht sehen. Dr Kreml selbst hat die NATO also vorwissentlich wieder zur Geltung gebracht. Anders als die angeblich antimilitaristische Haltung es impliziert, geht es Russland gar nicht zuvorderst um die Einhegung der NATO. Es geht um die Erweiterung und Absicherung der seit 2014 besetzten Gebiete, um die Zerschlagung der ukrainischen Souveränität, um eine Belarussifizierung der westlichen Nachbarn als politisches Ziel, welches miliärisch durchgesetzt werden soll.
In dieser Situation unterstütze ich Bundeskanzler Scholz, der ein umfangreiches europäisches Luftabwehrsystem fordert. Offensichtlich braucht es eine solche militärische Deffensivwaffe in einer Welt, in der weder bilaterale Verträge, noch die UN-Charta etwas zählen, sondern nur der imperiale Machtanspruch irgendwelcher dahergelaugenen Geheimdiensttypen.
Während die sogenannten Antimilitarist:innen darüber jammrn, dass Aspekte in diesem russisch-ukrainischen Krieg ausgeblendet werden, stelle ich fest, dass diese Leute die politisch-gesellschaftliche Situation und die Einflussnahme des Kreml darauf, völlig ausblenden. Offensichtlich ist es für eine unbedingte antimilitaristische Haltung erforderlich, einen Despoten anzuerkennen und zu dulden, den eine sehr große Mehrheit der Bevölkerung ablehnt, und der sich nur durch Wahlfälschung, Polizei und Militär halten kann. Offensichtlich eine Blaupause für die russische Außenpolitik. Was ein Verschweigen eines solchen Militarismus mit Antimilitarismus zu tun hat, wissen wohl noch nicht mal diejenigen, die sich als Antimilitarist:innen bezeichnen.