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Avatar von Anja Böttcher

mehr als 1000 Beiträge seit 24.08.2014

Einfach am Ball bleiben.

Es ist leider so, dass die Mehrzahl der Menschen sich sperrt, eine bedrohliche Situation als eine solche zu akzeptieren, wenn sie sich als hilflos betrachten. Mir sagen auch viele Kollegen: "Ich finde diese Kriegstöne ja auch unheimlich und finde unseren Mediendiskurs sehr einseitig und unbefriedigend - aber es wird niemand auf einen großen Krieg ankommen lassen. So irrational sind sie ja doch nicht." Kommentare treffe ich auch hier häufig an.

Wenn ich die Leute dann aber darauf hinweise, dass mehrere britische Nato-Offiziellen bereits öffentlich und auch schriftlich geäußert haben, dass der Krieg gegen Russland perspektivisch "unausweichlich" sei und dass in einem Spiegelartikel ein hochkarätiger deutscher Militär mal eben nonchalant mit den Worten zitiert wird, natürlich bereite die Nato einen Krieg gegen Russland vor, aber noch sei der nicht völlig "unsausweichlich", was kaum beruhigend ist, wenn ich zudem die Leute darauf hinweise, dass im Netz zugängliche Regierungsdokumente des Pentagon und des State Department, nämlich das 1200 Seiten starke War Manual und die Defense Doktrin von 2017 (beide als pdf zu googeln und abszuspeichern), dazu Veröffentlichungen des Center for Strategic and International Studies (CSIS), von Zbgniev Brzezinski und des PNAC, von Nuland-Gatte Robert Kagan, offen sagen, dass die absolute Vorherrschaft der USA um jeden Preis, auch, wenn nötig, mit einem Nuklearkrieg gegen Russland und China erkämpft werden muss und zwar auf dem "US-Brückenkopf"=Europa, dann heißt es: "Ja, ja, es wird viel gesagt oder geschrieben, aber das meint keiner wirklich." Das ist ein reiner Glaubenssatz - und sowohl die Ankündigungen der Verantwortlichen wie ihr Handeln geben für die Wahrheit dieses Glaubenssatzes einfach keinen Anlass. Dennoch wollen die entsprechenden Leute niemals von mir die pdfs zu solchen Dokumenten, die ja keine Interpretationen von Schwarzsehern sind, sondern zitierfähige Primärquellen, zugesendet bekommen.

Das ist eine Vogel-Strauß-Haltung - und ihre Ursache ist Angst.

Da ein Teil meiner Familie aus den Gewerkschaften kam und auch aus Sozialdemokraten bestand, die mehrfach verhaftet wurden, weil zwei unter erbärmlichen Bedingungen ins Exil fliehen mussten und einer Gestapo-Haft erlitten hat (eine Hälfte arbeitete in der kriegswichtigen Stahlindustrie im Ruhrgebiet, wo der Grad der politischen Organisiertheit von Arbeitern hoch war - wie auch der Blutzoll, den diese Leute 1933/34 zahlen mussten, weiß ich, dass sich auch damals viele Leute selbst belogen, als sie wussten, dass alle hohen Funktionsträger sich ins Ausland abgesetzt hatten und die Arbeiter kein funktionierendes Widerstandsnetz mehr hatten, um Hitler durch einen organisierten Generalstreik abzusetzen, wie sie noch im Januar und frühen Februar 1933 geglaubt hatten.

Und auf einmal wurden unglaublich viele vorherige Gegner hitlergläubig in dem Sinne, dass der "schon vernünftig werde", "nichts so heiß gegessen werde, wie es gekocht würde" und am Ende würden doch auch die alten preußischen Eliten, die sie ja vorher selbst als Gegner sahen, diesen "Emporkömmling" schon "in Schach" halten. Wer konsquent Gegner des NS blieb, musste selbst unter ehemaligen Kumpels und Genossen sehr genau hingucken, wem er noch trauen konnte.

Die Leute wollen es nicht sehen, dass sie in der Scheiße sitzen, obgleich ein klares Bewusstsein und Widerstand die einzige Chance sind, in der Gülle nicht unterzugehen. Und das Gefühl der Ohnmacht war immer die stärkste Waffe der Kriegstreiber und Usurpatoren. Damals wie heute. Wenn wir nichts tun könnten, würden sie uns doch nicht so hysterisch einer dauernden Propaganda aussetzen. Sie fürchten, dass Widerstand hochkommt und dann für sie unkontrollierbar ist.

Deshalb hilft nur, jeden mitzuschleppen, der sich überzeugen lässt, in der Hoffnung, dass wenn es gelingt, eine kritische Marke zu überschreiten, die Leute sich durch den Mut ändern, den das Gefühl eine große Menge zu sein, die gemeinsam eine kraftvolle Antwort geben kann, Dinge möglich werden, die jetzt noch weit entfernt scheinen.

Ich habe die TTIP-Demo erlebt: Diese Demo hätte nicht gereicht, um TTIP zu stoppen, das vielleicht (hoffentlich) Trump unmöglich macht. Aber an dem Tag waren die Leute beflügelt. Ihnen tat es gut, in einer gewaltigen Menge von 250 000 Leuten durch Berlin zu gehen. So etwas kann nur ein Anfang sein. Aber sozialpsychologisch ist der wichtig.

Der erste Schritt des Siegs gegen unberechenbare Eliten ist der Sieg über die eigene Angst. Jeder der klar Tacheles redet und mutig ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass andere Mut schöpfen. Und wir haben doch nichts zu verlieren. Gewinnen die Kriegstreiber, gehen wir alle drauf. Also müssen wir etwas tun - und können nur gewinnen. Unsere Selbstachtung jedoch gewinnen wir durch Widerstand auf jeden Fall.

Deshalb gibt es schlicht nicht einen Grund, sich nicht zu wehren. Jeder sollte es tun, der sich nicht wie ein Schaf auf die Schlachtbank führen lassen will. Denn das wäre die größte Erniedrigung von allen.

Lassen wir uns nicht erniedrigen! Wehren wir uns! Und retten wir durch diese Gegenwehr, die von gewöhnlichen Russen ganz genau zur Kenntnis genommen werden wird, die Völkerfreundschaft. Lies die Flugschriften der Geschwister Scholl oder von anderen, die im NS Widerstand geleistet haben. Damals haben sie Leute deshalb durch die Gestapo abgeholt. Das tut noch niemand. Umso weniger haben wir Grund, uns willenlos zum Schlachtvieh stempeln zu lassen!

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