Wir stecken schon tief in diesem Krieg

Drei Monate war auf allen Kanälen die Rede von schlechter Kampfmoral, veralteter Ausrüstung und nicht funktionierender Logistik auf russischer Seite, während der Sieg der Ukrainer, durch deren Brille nach wie vor die gesamte Berichterstattung läuft, absolut gewiss und scheinbar nur noch eine Frage von Tagen war. Nun plötzlich verstummt dieser Siegesrefrain. Dabei war die Entwicklung im Donbass spätestens seit der russischen Einnahme von Mariupol abzusehen, sowie heute abzusehen ist, dass Russland dauerhaft den Zugang zu den ukrainischen Schwarzmeerhäfen blockieren wird, um damit den Getreidepreis auf dem Weltmarkt hochzutreiben. Inzwischen ist zu hören, dass Russland trotz massiver Sanktionen seine Einnahmen aus Gaslieferungen aufgrund der gestiegenen Preise sogar erhöhen kann. Nirgends werden auch die Folgen europäischer Abhängigkeit von russischen Düngemitteln thematisiert, die auf unabsehbare Zeit in der Grundnahrungsmittelproduktion fehlen werden. Und was hinsichtlich Energieträgermangel und Inflation auf Europa zukommt, wird ohnehin mit ein paar Durchhalteparolen weggewischt. Stattdessen schwafelt Habeck von einer neuen Weltordnung ohne russische Beteiligung, die er in den illusorischsten Farben ausmalt.
Wir werden hinsichtlich des Ukraine-Krieges auf allen Ebenen belogen. Dass Selenskyj den Ukrainern Siegeswillen und Verteidigungsbereitschaft einschärft, ist eine Sache. Dass aber die ganze westliche Hemisphäre an Selenskyjs Lippen hängt und europäische Medien und Regierungen ihren Bürgern eine Situation vorgaukeln, auf deren Grundlage gerade extrem weitreichende und demokratisch nicht legitimierte Entscheidungen getroffen werden, wäre bei einer nüchternen, faktenbezogenen Berichterstattung nicht zu vermitteln. Die unwägbaren weltweiten Risiken, die die Nato angesichts eines ursprünglich regional begrenzten Konflikts eingeht, sind unverhältnismäßig und unverantwortlich und werden ausschließlich getragen von der Prämisse, Russland plane nach einer Einnahme der Ukraine einen Angriff auf die baltischen und weitere Nato-Staaten, eine Hypothese, die, abgesehen von ihren realitätsfernen Grundannahmen, offenlässt, inwiefern ein militärischer Erfolg Russlands in der Ukraine auf dieses angebliche Vorhaben überhaupt Einfluss haben könnte.