Um das Kind einmal beim Namen zu nennen:
Das Land Afghanistan war auch vor der Intervention ein failed state.
Auch in ihren besten Tagen hatte die Taliban nie das Land vollständig unter Kontrolle.
Von einer Staatlichkeit im engeren Sinne, konnte man dort sowieso nicht sprechen.
Die Taliban hatte die Kontrolle über das Militär. Natürlich nur über wenige Gerümpel, dass noch nicht kaputt war. Also eher auf dem Niveau Pick-Up, als gar Panzer, Kampfhubschrauber oder gar Kampfflugzeuge.
Ansonsten gab es da noch so eine Art Sittenpolizei, die man sich in der Praxis aber mehr als Wegelagerer vorstellen konnte, welche die lokale Bevölkerung schickanieren und die Leute abziehen.
Viele Berichte gab es aus der damaligen Zeit nicht. Warum?
Weil das Land sehr gefährlich war. Selbst wenn Journalisten einen Deal mit der Taliban-Führung gemacht oder gar mit denen befreundet waren, garantierte dies noch lange nicht das Überleben in der Provinz. Das Gros der "Sittenwächter" konnte weder lesen noch schreiben.
Das Land war schon auf dem Nullpunkt angekommen.
Die Wirtschaft des Landes erholte sich. Allerdings wurde dies hauptsächlich durch internationale Hilfe und Unterstützung erreicht – was die Gewinne im Wesentlichen fragil machte.
Wie in vielen Teilen der Welt, die von unseren Hilfsorganisationen beglückt werden, entwickelte sich eine regelrechte Industrie um die Hilfe.
Statt sich mit der Hilfe zu entwickeln, verdiente man Geld damit.
Sie schufen eine große afghanische Nationalarmee nach konventionellen Grundsätzen, rüsteten sie jedoch nicht für die Herausforderungen des Aufstands aus. Probleme wie Korruption, Desertionen, unzureichende Ausbildung und Waffen haben die Afghan National Defence and Security Forces (ANDSF) während ihrer gesamten Existenz geplagt.
Es überrascht nicht, dass die Afghan National Army (ANA) und die ANDSF nach der Unterzeichnung des Doha-Abkommens, noch vor dem Fall Kabuls im August 2021, rasch begannen, sich aufzulösen. Das ausgehandelte Abzugsdatum gab den Taliban die Oberhand, und die Bedingungen des Friedensabkommens sorgten für enorme Verwirrung unter den afghanischen Sicherheitskräften.
Das stimmt nicht. Es ist viel mehr so, dass sich nie die Vision eines gemeinsamen Staates entwickelte, der von den großen Fraktionen getragen wurde.
Die Armeeführung machte ihren Deal mit den Taliban und lies die Soldaten im Regen stehen.
Nein, die Regierungstruppen waren nie als konventionelle Armee aufgerüstet worden, sondern wurden für diese asymetrische Kriegsführung ausgerüstet. Also keine schweren Waffen, sondern Hubschrauber, mit denen schnell Verstärkung in die Eisatzgebiete gebracht werden konnte.
Erstens ist im Sicherheitssektor offensichtlich, dass die Vereinigten Staaten kein Konzept eines "Endstaates" in Afghanistan hatten, selbst als enorme Ressourcen in das Land flossen. Ihr Projekt zur Stabilisierung Afghanistans entbehrte einer konkreten Vision.
Das Projekt Afghanstan war der komplette Gegenentwurf zum Irak.
Im Irak zerstörte man die Strukturen der Baath-Partei und wollte damit eine Demokratisierung erreichen.
In Afghanistan wollte man immer die lokalen Stammesstrukturen einbinden, die schon bei den Petersberger Konferenzen dabei waren.
Hier wollte man mit den bestehenden Strukturen eine Art Proto-Demokratie schaffen.
Eine weitere große Lücke bestand im Governance-Sektor. Ich habe im lokalen Regierungssektor Afghanistans gearbeitet. Eine echte Machtübertragung ging bei dem Versuch verloren, eine starke Zentralregierung einzusetzen, die in der Lage wäre, alle Probleme des Landes zu lösen. Bestimmten Provinzen, vertreten von mächtigen Abgeordneten, wurden eine Reihe von Projekten zugewiesen, während eine Vielzahl anderer Provinzen vernachlässigt blieben.
Stellungnahmen der Provinzräte fanden in die Dokumente der Bebauungspläne kaum Eingang. Einige ausländische Regierungen begannen, direkt mit den Provinzverwaltungen zusammenzuarbeiten, was jedoch zu Einwänden der Zentralregierung in Kabul führte.
Korruption, Patronage-Netzwerke und Gelddiebstahl waren Kennzeichen des gesamten Governance-Systems. Es war ziemlich offensichtlich, dass nicht viel getan werden konnte, um die Regierungsführung unter dem vorherrschenden System zu verbessern.
Das Problem ist kultureller Natur. Es dabei auch völlig egal, ob föderal oder zentralistisch.
Die dortige Kultur bewegt sich auf einem Niveau, dass man hier vielleicht zur Zeit der Völkerwanderung hatte. Viele Aspekte einer modernen Gesellschaft sind mit deren grundliegenden Wertvorstellungen nicht kompatibel.
Und den Schritt in eine moderne Gesellschaft hat man dort nie gemacht.
Sehr viele Entwicklungsländer und auch die Entwicklungshilfe kranken an solchen Inkompabilitäten. Was bein Korruption und Vetternwirtschaft ist, gehört dort zur Kultur.
Da käme man garnicht auf dieses westliche Rollenkonzept, sondern werkelt immer für Stamm und Sippe.