Grundsätzlich bin ich natürlich Deiner Meinung. Keine Frage.
Jedoch, der Otto Normalverbraucher wird sich mit solch zeitraubenden Texten, fürchte ich, eher nicht beschäftigen wollen. Dazu hat er kaum Zeit, denn die Bewältigung all des Ungemachs, das ihm die von ihm gewählte Regierung so vollkommen überraschend eingebrockt hat, erfordert seine ganze Energie.
Davon abgesehen fürchte ich, daß der Otto Normalverbraucher durch das Setzen seines Kreuzes nicht wirklich eine "demokratische Entscheidung über seine Zukunft" trifft. Natürlich wünschen wir uns alle, daß Otto Normalverbraucher bei der nächsten Bundestagswahl nicht - erschütternd vorhersagbar - seinen uralten Fehler wiederholt und sein verhängnisvolles Kreuzlein doch wieder genau da macht, wo er es, nach dem Willen der wahren Demokraten, ausschliesslich machen darf. Und nicht dort, wo er eigentlich gerne diesmal wollen würde. Aber er wird es sich dann in letzter Sekunde doch wieder verkneifen. Denn er möchte lieber dazugehören. Zu denen, die als "wahre Demokraten" gelobt werden. Vom Bundespräsidenten. Vom Bundeskanzler. Nicht zu vergessen von den Minister_*INNEN. Und von all den anderen vorbildlichen Demokraten in den einzig wahren demokratischen Parteien. Und natürlich ganz besonders in der Regierungstruppe. Die ja all das unermüdlich und unerbittlich umsetzt, was das Volk tatsächlich möchte. Oder doch wollen sollte! Der idealdemokratische Otto Normalverbraucher ist der, der selbst genau das will, was er wollen soll. Dazu muß man ihn natürlich ein wenig formen. Durch von ihm selbstfinanzierte, pädagogisch wertvolle mediale Aufklärungsprogramme (und er investiert gerne in seine Aufklärung, er will ja mitreden können). Das gelingt schon lange erstaunlich gut, und zunehmend immer besser. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ihm irritierende Artikel wie dieser "erspart" werden. Er könnte sich ja am Ende fürchterlich aufregen und anfangen, nachzudenken. Über dieses und jenes, vielleicht sogar über alles.
Allein, wir alle vermuten es insgeheim schon länger: Es spielt fast keine Rolle (mehr), wer wann wo sein Kreuz macht. Das Kreuz werden anschliessend in jedem Fall wieder genau die tragen, die es zuvor auch schon immer getragen haben. So bleibt zumindest die gute alte Ordnung erhalten.