Wie soll man die Frage nach einem "Stopp" der Einwanderung aus muslimischen Ländern beantworten?
Wenn der Stop bedeuten soll, dass eine Einwanderung von Personen aus muslimischen Ländern absolut verboten sein soll, wäre wahrscheinlich kaum eine Mehrheit dafür. Soll verhindert werden, dass z.B. ForscherInnen, die sehr gut an eine europäische Universität passen würden, ausgeschlossen werden, nur weil das Land, aus welchem sie stammen, mehrheitlich muslimisch ist?
Von den meisten Ländern aus akzeptieren die europäischen Länder Einwanderung nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, und die Zahl der Menschen, die aus diesen Ländern einwandern, ist relativ klein. Ich mag mich täuschen, aber es würde mich erstaunen, wenn eine Mehrheit dafür wäre, Menschen aus muslimischen Ländern davon vollständig auszuschließen.
Ganz anders ist die Situation innerhalb der EU (und mit den EWR-Staaten sowie der Schweiz). Innerhalb dieser Gemeinschaft ist die Migration unbeschränkt. Die zugrunde liegende Idee ist, dass diese Länder genügend Gemeinsamkeiten haben, damit eine Beschränkung der Migration innerhalb dieses Bereiches nicht erforderlich ist. Ich bin überzeugt, dass eine große Mehrheit in der EU dagegen ist, dass große muslimische Länder wie die Türkei oder arabische Staaten in diese Gemeinschaft mit freiem Personenverkehr aufgenommen wird, das zeigen auch Umfragen (bei Bosnien wäre die Situation vielleicht anders, das Land ist ziemlich klein und auch stark europäisch geprägt).
Einige werden meinen, dass das sowieso nicht zur Debatte steht, da der EU-Beitritt der Türkei de facto aufs Eis gelegt ist. Aber offiziell ist die Türkei immer noch ein EU-Beitrittskandidat, und es ist nicht ausgeschlossen, dass der EU-Beitritt der Türkei in ein paar Jahren reaktiviert und vorangetrieben wird. Aufgrund der großen und wachsenden Bevölkerung der Türkei, des großen Wohlstandsgefälls zwischen Mitteleuropa und der Türkei und vorhandenen türkischstämmigen Gemeinschaften wäre damit zu rechnen, dass Millionen, möglicherweise auch eine zweistellige Zahl von Millionen von Türkinnen und Türken im Fall eines EU-Beitrittes in die alte EU, vor allem nach Mitteleuropa, umziehen würden. Auf diejenigen, die behaupten, nur ganz wenige Türken würden nach Mitteleuropa umziehen, wenn alle Türken das Recht bekommen, sich an einem beliebigen Ort in der EU niederzulassen, sollte man wohl besser nicht hören. Auch im Fall von Großbritannien und der Schweiz war die Einwanderung nach der Einführung der Personenfreizügigkeit viel größer als anfangs prognostiziert wurde - und im Fall der Türkei wären die dadurch ausgelösten gesellschaftlichen Veränderungen voraussichtlich viel größer. Dass die Türkei, auch ihre ländlichen Gebiete, genauso europäisch, säkular und modern sei wie Mitteleuropa und nur "Islamophobe" dagegen sein können, dass mit dem freien Personenverkehr Millionen von Türken nach Mitteleuropa umziehen, sagen nun nicht mehr so viele, aber es ist immer noch die Grundlage dafür, dass die Türkei den Status eines EU-Beitrittskandidaten hat.
Die Flüchtlingspolitik ist schwieriger, da das Asylrecht im Prinzip nicht von der kulturellen Integrierbarkeit abhängt. Der Abschluss von Abkommen über den freien Personenverkehr (was bei einer EU-Mitgliedschaft der Türkei unvermeidlich wäre) hat dagegen nichts mit grundlegenden Menschenrechten zu tun. Die Regierungen und die EU können einiges zur Wiederherstellung des Vertrauens tun, wenn sie klar sagen würden, dass die Türkei nicht mehr als EU-Beitrittskandidat gesehen wird.
Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass auch aus der Türkei und arabischen Ländern einzelne Personen einwandern, wie auch z.B. aus China oder den USA. Aber für die EU-Mitgliedschaft und damit den unbeschränkten freien Personenverkehr sollte - wahrscheinlich nicht nur meiner Meinung nach, sondern gemäß derjenigen einer klaren Mehrheit - klargestellt werden, dass die Türkei dafür als nicht geeignet gesehen wird. Die damit zu erwartenden gesellschaftlichen Veränderungen würden wahrscheinlich auch vielen SPD- und Grünen-Wählern (oder vielleicht gerade diesen - konservative Muslime haben ja typischerweise ein Weltbild, das dem rechten Flügel der CDU und der AfD näher ist) nicht gefallen würde. Wenn ein EU-Beitritt der Türkei tatsächlich nicht zu erwarten ist, sollte es eigentlich auch nicht so schwierig sein, dass Politiker in EU-Ländern klar dazu stehen und durchzusetzen, dass die Türkei nicht mehr den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten hat.