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  • Leser2015

481 Beiträge seit 19.11.2015

Handwerklich übler Artikel, unterirdisches Solidaritätskonzept & Menschenbild

Selten einen derart bizarren Artikel gelesen. Zunächst meine Meinung zum § 52 SGB V: Gehörte ersatzlos gestrichen, denn lädt zu willkürlichem Machtmissbrauch geradezu ein!

Aber da § 52 SGB V nun einmal existiert, sei Professor Schleim daran erinnert, dass das Bundessozialgericht bereits am 20.03.1959 entschieden hatte, dass der zumindest bedingte Vorsatz entweder auf die Begehung einer Straftat oder den Eintritt eines Gesundheitsschadens (!) selbst gerichtet sein müsste, also etwa eine zumindest initiale Selbstverletzung wie bei ästhetischen Operationen oder Piercings voraussetzt, während die ständige Rechtsprechung bei allen im TP-Artikel erwähnten Extremsport-Beispielen nur den Vorsatz zur Selbstgefährdung (!), nicht jedoch zu eventuell daraus resultierender Verletzung (!) bejaht. Juristisch interessanter wäre hier sicher die Frage, ob nicht Überlebende eines gescheiterten Suizidversuchs aus der Sicht eines solidaritätsgeleiteten Psychologieprofessors an Behandlungskosten beteiligt werden müssten. Vielleicht ebenfalls nicht, sofern der Psychologieexperte keinen vorsätzlichen Fehlschlag diagnostizieren könnte, aber wie wäre es dann rechtlich bei anderen Formen der Selbstverletzung, etwa dem sogenannten Ritzen?

Kurz gesagt, diese vermeintliche Rechtsauskunft im TP-Artikel zur Bedeutung des Vorsatzes im Kontext des § 52 SGB V ist vollkommen falsch und eine weitere mindestens irreführend: »Im Übrigen braucht man als Erbe nicht die Schulden eines anderen zu übernehmen. Voraussetzung ist die fristgerechte Ausschlagung beim zuständigen Nachlassgericht« (Schleim). Richtig ist, dass man ein Erbe nur insgesamt antreten oder ausschlagen kann, weshalb Timo Rieg natürlich völlig recht hatte, dass Erben für durch einen Erblasser eventuell entstandene Behandlungskosten postum aufkommen müssen wie auch für alle anderen noch offenen Forderungen Dritter – nur ein überschuldetes Erbe sollte man, obgleich unsolidarisch (!) gegenüber Gläubigern, besser ablehnen.

Doch zurück zu Covid, denn des Professors »Vorschlag bezog sich ausschließlich auf die außerordentlichen Umstände einer Pandemie« (Schleim). Nun ja, gefährliche Pandemien gibt es viele, zum Beispiel seit Jahrzehnten eine HIV-Pandemie. Und zur Verhinderung einer kostenintensiven HIV-Infektion stehen zumindest in Deutschland allen Menschen äußerst zuverlässige »persönliche Schutzmaßnahmen offen, um sich nicht zu infizieren« (Schleim), etwa zwecks unbedenklichen Geschlechtsverkehrs günstig Kondome. Gemäß der bizarren Forderung des TP-Artikels wäre eine »individuell abgewogene Kostenbeteiligung bei Selbstverschulden« (Schleim) folglich auch von jedem zwanzigjährigen HIV-Positiven zu fordern, dessen riskantes Sexualverhalten die Allgemeinheit bei normaler Lebenserwartung nach heutiger Kaufkraft durchschnittlich deutlich mehr als eine Million Euro kosten dürfte (https://www.aerztezeitung.de/Politik/16-Milliarden-Euro-gesamtgesellschaftliche-Kosten-300490.html). Mit wieviel Prozent sollte solch ein »gemeinschaftsfremder« (NS-Jargon) Sünder solidarisch an allen durch sein Fehlverhalten verursachten gesamtgesellschaftlichen Kosten beteiligt werden? Also Solidarität neuerdings nur noch bei perfektem Verhalten?

Nebenbei: Man könnte § 52 SGB V vielleicht sogar gegen Eltern oder Ärzte in Stellung bringen, die Kinder in einem Alter, für das es noch keine allgemeine Empfehlung gibt, gewissermaßen auf eigene Gefahr gegen Covid impfen lassen, und diese Impflinge daraufhin einen seltenen Gesundheitsschaden erleiden. Auch in solch einem Fall, bei dem sicher eine strafrechtliche Verantwortung der Entscheidungsträger im Raum stünde, sollten Krankenkassen alles zahlen!

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