Volker Beck und andere operieren seit Langem mit Vokabeln wie Vielfalt und Buntheit, die unterschwellig das Vorhandensein großer Zahlen und damit gesellschaftlicher Relevanz suggerieren. Schon insofern ist der Artikel sehr aufschlussreich, da er das Thema auf dem Boden der gesellschaftlichen Realität untersucht. Auf dem Feld der realen Quantitäten herrscht momentan in den Diskussionen schon aufgrund der benutzten Begriffe ein leicht irreführendes Durcheinander: Denn gesprochen wird von sexueller Vielfalt oder Buntheit. Hier kann man einerseits auf der Kategorienebene die verschiedenen Formen sexueller Orientierungen und Bindungen betrachten. Neben der heterosexuellen gibt es eben die homosexuelle, bisexuelle und transgender Orientierung. Im Ganzen sind es vier Formen sexueller Orientierung. Soll bei homosexuell und transgender für Männer und Frauen jeweils die separate Orientierung gezählt werden (schwul/lesbisch, transgender Mann/Frau), sind es ganze sechs verschiedene Formen sexueller Orientierung. Mit vier bzw. sechs Formen handelt sich damit um eine recht klein dimensionierte Vielfalt; in anderen Zusammenhängen würde man eher von einem (recht kleinen) Kreis sprechen.
Andererseits stellt sich auf der Praxisebene zu Recht die empirische Frage, wie viele Menschen mit der jeweiligen Form sexueller Orientierung es in der Gesellschaft gibt. Die (sehr beschränkte) Vielfalt der sexuellen Formen führt in den gegenwärtigen Diskussionen leicht zur Annahme, dass es zu jeder Form auch vielfältig Orientierte bzw. Praktizierende gibt! Denn gerade aus der tatsächlichen Verbreitung in der Praxis ergibt sich die gesamtgesellschaftliche Relevanz der jeweiligen Form sexueller Orientierung.
Gerade deshalb ist die quantitativ ausgerichtete Untersuchung des Autors sehr wichtig, sie verortet das LGBT-Thema in der tatsächlichen gesellschaftlichen Realität.
Daher bedeutet der nun geschaffene gleiche Zugang homosexueller Menschen wie der von heterosexuellen zum Rechtsinstitut der Ehe am Ende insoweit auch nur Gleichstellung im Rechtssektor. An der gesellschaftlichen Ungleichheit/Differenz im Übrigen wird sich dadurch nichts ändern. Insbesondere ist mit dem gleichen Zugangsrecht zur Ehe angesichts der vom Autor beschriebenen „Mengen“-Verhältnisse keine Gleichstellung in der gesellschaftlichen Relevanz verbunden. Auch wenn Menschen mit LGBT-Orientierung sowie homosexuelle (Ehe-)Paare und Partnerschaften mit und ohne Kinder künftig noch stärker gesellschaftlich akzeptiert sind (sein sollten), so ändert das nichts an den strukturell gegebenen „Macht“-Verhältnissen. Fakt ist, dass Menschen und Paare mit LGBT-Orientierung eine gesellschaftliche Minderheit sind und bleiben. Den rund 1,3 Mio. Menschen mit LGBT-Orientierung stehen, wie der Autor feststellt, rd. 46 Mio. heterosexuelle Menschen gegenüber. Die 20 Mio. heterosexuellen Paare (Ehen und Partnerschaften) machen die gegenwärtig 94.000 homosexuellen Partnerschaften (+ künftigen Ehen) zu einer absoluten Randerscheinung.
Dies ist, ob man es wahrhaben will oder nicht, ein nachhaltiger kultureller „Herrschafts“-Faktor, der weder durch Buntheitsproklamationen, Modernisierungspostulate, noch durch einige „Homo-Ehen“ aus der Welt geschafft werden kann. Betrachtet man die Lebensverhältnisse daher einmal aus dem Blickwinkel der vom Autor ermittelten Quantitäten, so sind die heterosexuellen Orientierungen und Partnerschaften die prägende Normalität des menschlichen Zusammenlebens, die absolut dominierende Regel - ob in freier Verbindung, Partnerschaft oder Ehe. Die Themensetzungen im öffentlichen Leben und insbesondere in den öffentlichen Medien werden - trotz gegenüber früher stärkerer Berücksichtigung homosexueller Fallgestaltungen - sich weitgehend an diesen nach wie vor mehrheitlich verbreiteten heterosexuellen Gegebenheiten orientieren. Dieses "Schicksal" haben in der Vergangenheit auch andere Minderheiten erfahren müssen, etwa Behinderte oder alleinerziehende Mütter. Auch sie sind mittlerweile zu Randthemen geworden.
Die Öffnung der Ehe für Homosexuelle ist somit keine Maßnahme, die diese gesellschaftliche Minderheit größer macht als sie tatsächlich ist, sie kann ihr vielleicht zu mehr gesellschaftlicher Achtung und Akzeptanz/Tolerierung verhelfen.