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  • Stephan Schleim

mehr als 1000 Beiträge seit 27.01.2005

Realitätscheck dringend nötig!

Nützy schrieb am 02.01.2020 16:38:

Die Frage ist ja auch, ob es sich um eine Hohl- oder eine Bringschuld handelt.

Jetzt werden also schon die Schüler dafür verantwortlich gemacht, dass sie in der Schule wesentliche Dinge nicht lernen? Sie hätten es sich ja von den Lehrern holen können? (Ganz schön hohl, ja.) Nebenbei: Die Lehrer haben das doch selbst nicht gelernt.

Das ist falsch.

Arbeitslosen-, staatliche Renten- und Krankenversicherung gab es schon vorher in Deutschland.

Das ist, leider, wie vieles, was du so von dir gibst, zwar nicht völlig falsch, aber doch so unterkomplex und oberflächlich, dass es auch nicht richtig ist.

Hier einmal aus den Unterrichtsmaterialien der Bundeszentrale für politische Bildung*:

Der Ausbau des Sozialstaats nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem 2. Weltkrieg setzte dann eine immense Expansion und Ausdifferenzierung des Sozialstaates ein, die sich bis in die 1970er-Jahre hinzog. Der Ausbau des Gesundheitswesens und eines weiten Spektrums sozialer Dienste (etwa im Bereich der Kinder-, Jugend- und Sozialarbeit oder ambulante Pflege), eine zunehmend aktiver werdende Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspolitik, das Programm zur Humanisierung der Arbeitswelt, die Weiterentwicklung der Sozialversicherung und die Einführung der dynamischen Rente veränderten auch qualitativ das wohlfahrtsstaatliche Gefüge.

Der Sozialstaat, wie wir ihn bis in die frühen 2000er hatten, ging im Grunde auf Beschlüsse der Westalliierten nach dem WK2 zurück, die damit verhindern wollten, dass es in Westeuropa nach einer Wirtschaftskrise wie in den 1930ern wieder zu einer Katastrophe kommt.

Das ist jetzt nun wirklich hart an der Grenze zur Rattenfängerei!
Du kannst genauso wie ein "Reicher" dein Geld in Aktien, Edelmetalle oder Immobilien anlegen, wenn du willst.

Da bleibt mir echt die Spucke weg!

Ich kann das; ja. Du vielleicht auch. Die ärmeren 50% der deutschen Gesellschaft können das aber nicht, denn sie besitzen so gut wie gar kein Vermögen!

Gemäß den Zahlen für 2007** (und man merke: die Realität sieht noch schlimmer aus, denn seit der Aussetzung der Vermögenssteuer in den 1990ern werden Vermögen gar nicht mehr genau erfasst; und man merke zum Zweiten: da die Schere zwischen Arm und Reich seitdem viel weiter auseinander gegangen ist, sieht es heute noch viel schlimmer aus) besaß die ärmere Hälfte Deutschlands Vermögen in Höhe von im Mittel rund EUR 3.000 pro Kopf.

Jetzt will ich ganz konkret von dir wissen, wie viel die davon in Aktien, Immobilien, Gold und so weiter anlegen sollen, wie sie dann mal eine neue Waschmaschine oder eine Reparatur am Auto bezahlen sollen, wie sie verhindern sollen, dass Gewinne von Gebühren aufgefressen werden und beim nächsten Crash alles weg ist.

Kredite kriegen sie auch keine, denn dafür haben sie keine Sicherheiten. Und zu deinem Einfall mit den Genossenschaften: Wenn sich selbst 100 Leute mit (so gut wie) keinem Kapital zusammenschließen, dann hast du eine Genossenschaft mit (so gut wie) keinem Kapital und bringt dir das auch nichts.

Lass mich jetzt bitte mit deinen unausgegorenen Halbwahrheiten in Ruhe. Man kann nicht sinnvoll über Gerechtigkeit und Sozialpolitik diskutieren, ohne bereit zu sein, auch nur einen Millimeter über den eigenen Horizont hinauszudenken. Deine Argumente sind ein hervorragendes Beispiel dafür, warum Deutschland sozialpolitisch so den Bach heruntergeht, weil sich die Mittelschicht so einen (für das eigene Leben freilich bequemen) Quatsch hat aufschwatzen lassen und es sich in ihrer Filterblase gemütlich macht.

P.S. Ich habe übrigens bisher jede Gelegenheit auf ein Erbe verstreichen lassen, weil meiner Meinung nach so ein leistungsloser Wohlstand den Charakter verdirbt.

* http://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138744/historischer-rueckblick?p=all
** https://de.wikipedia.org/wiki/Verm%C3%B6gensverteilung_in_Deutschland#Untersuchungen,_die_Top-Verm%C3%B6gen_ber%C3%BCcksichtigen

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