Sensationsfetisch und Actionfilm-Koreographie beschreiben imho ganz gut, was u.a. auf Sendern wie Welt.TV zelebriert wird. Da helfen keine Betroffenheitsminen zu den gezeigten Bildern, wenn zwei Minuten zuvor mit bombastischer Musik eine Art "Ukraine-Krieg-Trailer" gezeigt wurde, um dem Zuschauer die Aufmerksamkeit zu stehlen ...
Der Sender läuft bei mir auf Arbeit im Pausenraum den ganzen Tag über. Und immer wenn ich gerade reinlaufe, um mir Kaffee zu machen oder um Essen zu erwärmen, läuft das Neueste vom Neuen über den Ukraine-Krieg. Abgelöst wird das durch die Börsennachrichten und Statements verschiedener Regierungsvertreter zum Krieg.
Zum Glück haben wir einen zweiten Pausenraum. Da herrscht das stille Einverständnis, die Glotze dort auszulassen oder auf harmloses Mittagsprogramm umzuschalten - alles, nur eben keine Nachrichten. Denn die sind nicht mehr erträglich.
Krieg IST unerträglich. Es ist aber nicht unser Krieg. Die Ukraine ist kein verbündetes Land. Russland hat uns keinen Krieg erklärt. Also warum werden wir den ganzen Tag über ohne Unterlass mit Nachrichten von der Front bombardiert? Und wenn wir schon den ganzen Tag Kriegsberichterstattung serviert bekommen, warum wird völlig unkritisch die Sichtweise der ukrainischen Behörden übernommen und den Russen wirklich jede Schandtat unterstellt? Ist die Weisheit, dass die Wahrheit das erste Opfer des Krieges ist, nicht durchgedrungen? Schaut man absichtlich weg, damit das Narrativ passt?
Was in der Überschrift mit "Ambivalenz" bezeichnet wird, würde ich vorsichtig "unparteiische Sichtweise" nennen. Die Länder, die nicht klar Stellung beziehen, tun dies aus völlig unterschiedlichen Gründen - um beispielsweise nicht indirekt in einen Krieg hineingezogen zu werden, der sie nicht betrifft. Vielleicht haben sie noch nicht genügend gesicherte Informationen, um sich ein abschließendes Urteil bilden zu können. Vielleicht riechen sie auch die westliche Gleichschaltung und wundern sich, wieso wir so hysterisch agieren, statt vernünftige Realpolitik an den Tag zu legen. Vielleicht wollen sie aber auch die Geschäftsbeziehungen mit Russland nicht riskieren. Wer weiß das schon.
Ein Krieg, der nicht der eigene ist, kann verurteilt werden. Aber Partei ergreifen und sich damit zum Unterstützer einer Seite zu machen, einen Wirtschaftskrieg vom Zaune brechen und Diplomaten ausweisen, den Besitz von Staatsbürgern des "Feindes" aneignen und Hass und Hetze gegen diese Menschen dulden, wie "schlau" kann das sein? Die Brücken, die in Brand gesetzt werden, bauen sich nicht so schnell wieder auf. Und wenn im Grunde alles getan wurde um die Beziehungen zu zerstören, bis auf eine Kriegserklärung selbst abzugeben, weil man sich als Unterstützer einer Seite präsentieren wollte, dann hat man womöglich einen kaum wiedergutzumachenden Fehler begangen. Denn irgendwann ist Stunde 0. Irgendwann ist der Krieg aus. Die Schäden an Mensch und Material lassen sich schwer reparieren. Aber womöglich ist der größere Schaden angerichtet worden an den internationalen Beziehungen untereinander. Die Basis für einen neuen Kalten Krieg werden heute gelegt.
Beim ersten Kalten Krieg kam der Westen als Sieger hervor und wurde für einige Jahre lang uneingeschränkter Hegemon der Welt. Ich denke nicht, dass ein neuerlicher Kalter Krieg irgendeine kräftigende Wirkung hat für den Westen. Es wird auf einen langen Niedergang hinauslaufen. Und der Rest der Welt, der mit der "ambivalenten" Einstellung zum Russland-Ukraine-Krieg wird den Westen einholen, überholen und abhängen. Dieser "Rest" der Welt bildet aber fast dreiviertel der Menschheit ab. Wenn unsere westliche Führungen nicht erkennen wollen, dass die Zeit westlicher Hegemonie vorbei ist, wird sie sehr bald mit voller Wucht mit der Wirklichkeit kollidieren. Wir haben die Führungsrolle in der Welt nicht mehr verdient, wir verlieren sie zurecht und werden, wenn wir die nächsten Wochen und Monate die letzte Chance verstreichen lassen, wenigstens am Tisch der Weltgemeinschaft Platz zu nehmen, nicht einmal mehr dort eine gesichtswahrende Position einnehmen können.
Russland aus dem Weltsicherheitsrat, aus dem Menschenrechtsrat usw. rauswerfen, braucht genügend, nämlich zwei von drei Stimmen der gesamten Welt. Ich denke nicht, dass die zusammenkommen. Die Schwäche des Westens und das Ende der westlichen Hegemonie wird dann deutlich sichtbar. Sie ist bereits jetzt erkennbar, weil die Sanktionen und Boykottverhandlungen weder mit einer Stimme erfolgen, noch von der ganzen Welt unterstützt werden.
Um's kurz zu machen: was folgt, ist unsere Schuld allein. Wir haben Esel zu Konsuln gemacht, überall und in jedem westlichen Parlament fehlt jegliches diplomatisches und politisches Feingefühl. Es fehlt das Gespür für Mensch und Wirtschaft. Da kann kein Putin was dafür. Da sind wir selber schuld, wenn wir die immer gleichen Kasper an Entscheidungspositionen wählen