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  • Lorant Strahl

784 Beiträge seit 28.07.2016

Ich würde ja noch viel weiter gehen

Denn wenn uns Corona etwas gezeigt hat, dann, dass der Kapitalismus als Wirtschaftssystem untauglich ist. Entzieht man ihm die Möglichkeit, Dinge zu verwerten (und Dinge sind sowohl tatsächlich Dinge als auch Menschen, Tiere, Ideen, einfach alles, was sich irgendwie fantasievoll bepreisen lässt), dann fällt er in sich zusammen wie nix. Was dann noch bleibt, ist ein verzweifelter Kampf um die Resteverwertung (gerade schön in den USA zu beobachten). Verwertung bedeutet hier das Erzeugen von Entropie, also all die zu verwertenden lebendigen und nicht lebendigen Dinge in einen Zustand zu überführen, in dem sie nicht weiter verwertet werden können (zu nix mehr taugen, z.B. Plastikmüll).

Rein sprachlich bedeutet die Vorsilbe "ver-" u.a., dass etwas erreicht, verändert, zu Ende gebracht wird oder zu Ende geht. Verwertung bedeutet demnach, dass der Wert dessen, was verwertet wird, verändert wird und vielleicht sogar zu Ende geht, wobei der Wert natürlich eine Frage der Be-Wertung, also der Wahrnehmung ist. Daher spreche ich von erzeugter Entropie als Folge der Verwertung, d.h. die verwerteten Dinge verlieren ihren Wert durch Verwertung, entweder ad hoc (Benzin, puff, brumm, CO2) oder graduell über die Zeit (intellektuelle Arbeits- und Wissenskraft des Menschen), d.h. es müssen der Verwertung ständig neue Dinge zur Verwertung zugefügt werden, wie bei einem Verbrennungsmotor.

Eigentlich ein ziemlich sinnloses Spiel. Da aber die Ver-Wertung der Dinge durch ihre Be-Wertung bewirkt, dass magische Nummern auf Servern (Konten, Wertpapiere, Buchhaltung) in die Höhe schnellen, wird sie fortwährend fortgesetzt, weil die Spezies Mensch aus vermutlich einer fehlgeleiteten oder unvollständigen Evolution seiner Wahrnehmung glaubt, diese Nummern seien tatsächlich real. Meines Erachtens grenzt diese Wahrnehmung an eine regelrechte geistige Behinderung des Menschen, an der wir seit knapp 10.000 Jahren knabbern. In der Bibel wird das übrigens etwas missverständlich Erbsünde genannt, aber Beschreibungen dafür hat es schon viele gegeben.

Das Problem bei diesem Modell ist, dass die Verwertung irgendwann die Substanz wegfrisst. Damit meine ich sowohl die ökologischen Lebensgrundlagen als auch unsere sozialen und spirituellen (psychologischen) Fähigkeiten, mit der Welt umzugehen. Wir züchten z.B. seit einiger Zeit Generationen heran, die die Welt vornehmlich nur noch simuliert auf wenigen Quadratzentimetern als Pixel wahrnehmen, aber das nur am Rande. Real lassen sich die Folgen des Selbstfraßes doch sehr gut erkennen anhand der unterschiedlichen Fähigkeiten der Länder, mit dieser Krise umzugehen. Ich bin ja froh, dass das in Deutschland so gut geklappt hat, und wir hatten ja auch Glück, worauf Lorenz Brosche mich netterweise hingewiesen hatte, denn wäre Corona erst im Sommer gekommen, nach Karneval und all den Festivals, dann gute Nacht. Aber soweit ich das einschätzen kann, sind genau jene Länder gescheitert, die sich seit jeher dem Selbstfraß des Kapitalismus besonders oder besonders lange hingegeben hatten (Italien, Frankreich, Spanien, Britannien, Amerika), während die Länder, die sich bislang noch halten konnten (Deutschland, Österreich) oder sich gerade sowieso in der Aufschwungsphase des Selbstfraßes befinden (China, Südkorea) ganz gut damit klar kamen.

Wenn wir ganz ehrlich mit uns sein wollen, dann müssen wir uns eingestehen, dass die buchhaltungsgetriebene Verwertungswirtschaft zur Generierung abstrakter Nummern auf Servern, gescheitert ist. Das Ziel müsste weder totaler Welthandel noch Abschottung sein, könnte aber durchaus eine wohltemperierte und auf Subsistenz basierende Autarkie sein. Das Ziel könnte ein artgerechtes Leben für uns Menschen sein, indem sich unsere Spezies entwickelt, statt sich in einer nicht-artgerechten Käfighaltung in Büro, Supermarkt und Wohnzimmer immer tiefer in den verwertenden Selbstfraß zu verwickeln. Das könnten wir alles erreichen, wenn wir die Sinnlosigkeit unseres nummerngetriebenen Spiels von Abzocke und Täuschung erkennen und aufgeben würden.

Dazu wird dann aber auch gehören, selbst Verantwortung zu übernehmen, und ich rede nicht von aufmerksamtkeitsgetriebener Spätdekadenz wie vegane Ernährung, sondern von der wohl überlegten Entscheidung, inwieweit ich mich selbst überhaupt verwerten lasse. Woran alle Gretas, Gelbwesten, Pegida und sonstige Kuschelrebellen immer wieder kläglich scheitern, ist, dass sie stets von Papa [Staat] verlangen, er solle es doch für sie einrichten, dass alles gut wird. Damit bleiben sie im Grunde alle Kinder, damit ordnen sie sich sogar dann noch unter, wenn sie protestieren. Letztendlich ist es aber die Entscheidung des Einzelnen, ob er z.B. bei dem ganzen Konsumschwachsinn mitmacht und ob er sich sein Weltbild von anderen vormachen lässt oder sein eigenes entwickelt. Es liegt bei jedem selbst, ob er als Mensch erwachsen oder als Konsument Kind sein will.

Es ist ja schon mal ein Anfang, wenn man auf Kreuzfahrten und anderen Pauschaltourismus verzichtet, weil Klima. Aber viel entscheidender für die eigene Entwicklung wäre es, wenn man das nicht aus Schuldgefühlen wegen CO2 macht, sondern weil man für sich erkannt hat, was für eine alberne Veranstaltung es ist, sich zwei Wochen lang wie ein kleiner, degenerierter Prinz von Bediensteten den Arsch hinterher tragen zu lassen, während man mit tausenden weiterer degenerierter, kleiner Prinzen auf engstem Raum eingepfercht ist. Dort kann man sich dann die traurige Realität ganz all-inclusive schön trinken, um nicht zu bemerken, dass diese ganze inszenierte "Welt" da nur eine kindische Playmobil-Karikatur menschlicher Bedürfnisse ist.

Nehmt z.B. solche Tropical Island Resorts:

https://www.tropical-islands.de/germany/water-park-berlin/

Wie degeneriert muss man im Vorfeld schon sein, nicht zu erkennen, dass es sich hier lediglich um Zoogehege für Menschen handelt, ähnlich wie der Orang-Utan Dome im Hagenbecks Tierpark?

https://www.flickr.com/photos/nb-fotos/3201325862

Also, ich wäre mir dafür zu schade und ich glaube die meisten wären es auch, wenn sie sich die Realität solcher Freizeitgestaltung eingestehen würden.

Im Grunde genommen ist dieser Kapitalismus mit seinen bourgeoisen Republiken ja aus dem Feudalismus hervorgegangen. Dass der europäische Adel in weiten Teilen hoffnungslos narzisstisch degeneriert und verkommen war, sollte jeder wissen, der sich mal ein wenig mit der Lebensrealität dieser Höflinge auseinander gesetzt hat. Das, was uns der Kapitalismus heute ermöglicht, ist, dass wir alle in der gleichen narzisstischen Blase von Dekadenz und Degeneration leben dürfen wie zuvor nur die Prinzen und Prinzessinnen. Aber welche Entwicklungsgrundlage bleibt der Gesellschaft, wenn alle sich wie Prinzen und Prinzessinnen aufführen?

Keiner von uns ist gezwungen, beim Konsum mitzumachen. Smartphones, "soziale" Netzwerke, Streamingdienste, Pauschaltourismus, tagesaktuelle News, Videospiele - das sind alles Dinge, die braucht eigentlich kein Mensch, und schon gar nicht den ganzen Tag als Dauerbeschallung. Keiner muss dabei mitmachen und je weniger da mitmachen, desto weniger stehen wir der Verwertung durch Selbstfraß zur Verfügung. Unsere wirklich wertvolle Aufmerksamkeit wird dann für ganz andere Dinge befreit: echter sozialer Kontakt, gärtnern, soziales Engagement, echte Kreativität, die Generierung, Vermittlung und Austausch von Wissen, etc.

Echtes Leben, echte Gefühle.

Ich will damit gar nicht den Artikel von Herrn Westphalen madig machen. Ich fand den Artikel ziemlich gut und freue mich, dass jetzt auch solche Beiträge auftauchen. Das zeigt mir nur, dass der wohlüberlegende deutsche Geist noch lebendig ist. Ich denke nur, dass Appelle an Solidarität u.ä. im Sande verlaufen werden, wenn der einzelne Mensch sich nicht seiner eigenen Lebensrealität gewahr wird, und diese ist im Selbstfraß die Realität eines Lebens im Zoogehege als Konsument, quasi als Verwerter, der letztendlich sich selbst verwertet. Erst diese Erkenntnis kann den Mensch davon befreien und dann, da bin ich mir sicher, muss an Solidarität gar nicht mehr appelliert werden, denn der Mensch entwickelt sich seit jeher zu mehr gegenseitiger Empathie und damit auch zu mehr Solidarität.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (29.04.2020 16:15).

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